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Kein Platz für Gott?

Die Naturwissenschaften gehen davon aus, dass alles, was in der Welt geschieht, innerhalb der Naturgesetze geschieht. Wo ist dann noch Platz für ein Eingreifen Gottes?

Die Frage ist für Christ*innen von großer Bedeutung, denn es geht darum, ob und wie der Gott, den sie im Gebet anrufen, in ihrem Leben, in der Weltgeschichte und in der Natur handelt. Kann Gott, wenn alles nach Naturgesetzen abläuft, überhaupt die Bitten der an ihn Glaubenden erfüllen?

Der britische Biologe Richard Dawkins (geb. 1941) hat dies verneint. In seinem Buch „Der Gotteswahn” hat er dies unter anderem im Anschluss an Charles Darwin (1809-1882) damit begründet, dass die Entwicklung des Lebens auf der Erde nach den Mechanismen von Ursache und Wirkung verlaufen sei. Wenn jede geschichtliche Entwicklung eine natürliche Ursache habe, gebe es für ein übernatürliches Eingreifen Gottes keinen Raum mehr. Damit vertritt Dawkins einen Naturalismus, d.h. eine Weltanschauung, die zum Beispiel auch menschliches Bewusstsein und Wollen auf rein biologische Vorgänge im Gehirn zurückführt.

Eine andere Sicht vertritt zum Beispiel die in den USA entstandene Bewegung des Intelligent Design (intelligente Gestaltung). Die Vertreter dieser christlichen Richtung behaupten, bestimmte Eigenschaften des Universums und Entwicklungen des Lebens auf der Erde ließen sich nur als planvolle Gestaltung einer intelligenten Macht verstehen.

Die Frage ist nun aber, ob und gegebenenfalls wie solch eine planvolle Gestaltung des Universums zu den naturwissenschaftlich aufweisbaren Gesetzen passt, nach denen das Universum sich vollzieht. Mit anderen Worten: Widerspricht ein göttliches Eingreifen nicht den naturgesetzlich festgelegten Abläufen? Und wenn nicht, wie passt es mit diesen Abläufen zusammen?

Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir uns zunächst einige Erkenntnisse der Naturwissenschaft vergegenwärtigen.

1. Die klassische Physik: Ursache und Wirkung

Der englische Naturforscher Isaac Newton (1642-1726) formulierte als Gesetz der klassischen Physik, dass es in der Natur keine Wirkung ohne Ursache gebe. Dieses Gesetz bestimmte lange Zeit die naturwissenschaftliche Forschung und ist bis heute in vielen (wahrscheinlich auch in unseren) Köpfen verankert. Denn genau so erleben wir die Wirklichkeit jeden Tag: Wenn ich mit dem Kopf gegen eine Wand stoße, tut es weh. Die Ursache des Stoßens hat die Wirkung des Schmerzes. Das können wir beliebig oft wiederholen, und jedes Mal wird die Ursache dieselbe Wirkung hervorbringen (darum vermeiden wir es tunlichst, mit dem Kopf gegen eine Wand zu stoßen).

Der französische Physiker und Astronom Pierre-Simon Laplace (1749-1827) soll einmal von Napoleon nach der Rolle Gottes im Planetensystem gefragt worden sein und darauf sinngemäß geantwortet haben: „Stellen Sie sich ein Wesen vor, das ein so gewaltiges Gehirn besitzt, dass es die Orte und Geschwindigkeiten aller Teilchen im Universum in einem einzigen Augenblick exakt erfassen und berechnen kann. Dann kennt dieses Wesen die Entwicklung des gesamten Universums von Anfang bis zum Ende bis in die kleinsten Kleinigkeiten hinein. Denn da alles durch die Naturgesetze vollständig festgelegt ist, kann es alles vorausberechnen.“ Napoleon soll ihn daraufhin gefragt haben „Und wo bleibt Gott in diesem Universum?“ Laplace antwortete: „Diese Arbeitshypothese haben wir nicht mehr nötig.“

Die Gedanken vieler Menschen sind heute noch von diesem Muster bestimmt, wenn sie darüber nachdenken, ob es einem Gott möglich sein könne, in der Welt zu wirken. Weil alles strikt nach vorausberechenbaren Gesetzen ablaufe, scheide Gott als jemand, der in die Abläufe eingreift, aus. Denn die Naturgesetze gelten immer und überall. Ein übernatürliches Geschehen, das sich nicht innerhalb der Naturgesetze vollzieht, ist dann nicht denkbar. Biblische Wunder und manche Gebetserhörungen sind dann ebenfalls nicht mehr vorstellbar. Und ein Weltregiment Gottes könnte dann nur noch darin bestehen, das naturwissenschaftliche Gesetz von Ursache und Wirkung zu vollziehen. Dann kann man aber auf Gottes Wirken auch gleich verzichten.

Die These der klassischen Physik geht davon aus, dass es nur drei räumliche Dimensionen gibt, in der sich alles Geschehen abspielt. Doch man kann auch anderer Ansicht sein.

2. Die vieldimensionale Geometrie

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die These aufgestellt, dass es statt einer dreidimensionalen Geometrie eine vieldimensionale Geometrie mit beliebig vielen Dimensionen geben könne. Wenn es aber mehr als die drei uns zugänglichen Dimensionen gibt, die Einfluss auf die Naturvorgänge nehmen, dann könnte es auch ein göttliches Eingreifen in sie geben.

In diesem Zusammenhang ist ein Roman über ein-, zwei- und dreidimensionale Welten interessant, der 1882 von einem Engländer geschrieben wurde. Eine veränderte Version dieser Idee könnte so lauten (angelehnt an Literaturangabe 1 unten):

Auf einer ebenen Fläche leben zweidimensionale Wesen, die sich gerne mögen. Sie sehen aus wie Teile des Tetrisspiels. Diese Wesen würden sich gerne einmal fest umarmen, so dass kein Zwischenraum zwischen ihnen bleibt. Leider sind sie aber so geformt, dass sie sich nur berühren können. Ihre Formen passen einfach nicht zusammen. Immer wieder bleiben Lücken zwischen ihnen. Ein Mensch, der dies beobachtet, greift aus der dritten Dimension ein: Er nimmt eins dieser Wesen und dreht es. Nun passen die Formen genau zu einem anderen Wesen, so wie das Teil eines Tetrisspiels, das man so gedreht hat, dass es ohne Lücken zu einem anderen Tetristeil passt. Dieses Wesen kann nun ein anderes fest umarmen. Für diese beiden Wesen ist ein Wunder geschehen.

Nun könnte man sagen: Wie der Mensch aus der dritten Dimension in das Leben dieser Wesen eingreift, so könnte Gott aus einer uns unzugänglichen Dimension in unser Leben eingreifen. Die Natur wäre dann etwas, in das jederzeit aus einer höheren Dimension eingegriffen werden kann. Die Kette von Ursache und Wirkung wäre dadurch außer Kraft gesetzt. Jedes Wunder und das Weltregiment Gottes wäre so erklärbar.

3. Das deterministische Chaos

Will man naturwissenschaftliche Gesetze formulieren, so kommt alles auf genaue Messungen an. Messungen sind aber nie zu hundert Prozent genau. Im 19. Jahrhundert dachte man, dass kleine Abweichungen beim Messen auch nur zu kleinen Abweichungen im Ergebnis führen. Das ist auch richtig für viele Bereiche, aber nicht immer. Heute weiß man: Es gibt Systeme, bei denen kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen am Ende zu einem völlig anderen Ergebnis führen. Interessant fand ich folgendes Beispiel (ebenfalls aus Literaturangabe 1):

Würde man, wenn es möglich wäre, die Bahnen von Billardkugeln über lange Zeit genau vorausberechnen und dabei in der Berechnung nichts vergessen – außer die Anziehungs-

kraft von einem Elektron am Rande der Milchstraße – – – dann liegt man in der Berechnung schon nach einer Minute völlig falsch. Der unvorstellbar kleine Einfluss dieses einen vergessenen Elektrons verändert das Geschehen in so großem Maße.

Nun weiß ich auch, warum Wettervorhersagen so schwierig sind. Weil nie alle Faktoren von uns einbezogen werden können und schon kleine Abweichungen große Folgen haben, können wir das Wettergeschehen nie exakt vorausberechnen. Der berühte Sack Reis, der in China umkippt und in Amerika einen Wirbelsturm auslöst … (nicht der Sack Reis allein löst den Wirbelsturm aus, aber er könnte das Zünglein an der Waage sein, das sich potenziert und in Amerika den entscheidenden nicht berechneten Faktor ausmacht).

Man nennt solche Systeme „Deterministisches Chaos” – deterministisch, weil alles nach Naturgesetzen abläuft, und Chaos, weil schon kleinste Faktoren die zukünftige Entwicklung radikal verändern können.

Nun könnte man sich Gott so vorstellen, dass er irgendwo einen Sack Reis umkippen lässt und so Einfluss auf das Weltgeschehen nimmt, ohne dass wir es bemerken können. Dabei braucht er sogar noch nicht einmal die Naturgesetze zu durchbrechen, sondern alles läuft exakt nach ihnen ab.

4. Die Heisenbergsche Unschärferelation

Die Problematik des Messens verschärft sich noch, wenn man die Quantenmechanik einbezieht, also das Verhalten von Elementarteilchen. Werner Heisenberg (1901-1976) stellte fest, dass man Ort und Geschwindigkeit eines Elektrons nicht gleichzeitig genau messen kann. Je genauer man den Ort misst, desto ungenauer kann man die Geschwindigkeit messen und umgekehrt. Misst man also zum Beispiel die Geschwindigkeit des Teilchens ganz genau, so kann man überhaupt nicht mehr feststellen, wo das Teilchen eigentlich ist.

Genaue Vorausberechnungen sind also im Bereich des Mikrokosmos nicht mehr möglich. Heisenberg erhielt für die Begründung der Quantenmechanik im Jahr 1932 den Physik-Nobelpreis.

Heisenberg äußerte sich auch philosophisch. Er verstand die kleinsten Einheiten der Materie nicht als gewöhnliche „Objekte”, sondern eher als Formen und Strukturen, als Ideen im Sinne Platons, also als geistige Größen. Zugleich kritisierte er die platonische Spaltung zwischen Materie und Geist, Körper und Seele und betonte die Einheit von Stoff und Kraftfeld: Der Stoff, die Materie sei nichts anderes als Energie.

Fraglich oder zumindest umstritten ist jedoch in der Physik bis heute, was Energie bzw. Materie eigentlich ist (siehe das Zitat von Richard Feynman in einem Kommentar von Jochen zum Artikel Theorien zum Bewusstsein).

5. Physikalische Wahrscheinlichkeiten statt Sicherheit

Denkt man die Entdeckungen Heisenbergs weiter, so kommt man zu dem Schluss, dass es in der atomaren und subatomaren Welt keine festen Naturgesetze wie in der von uns erfahrenen Welt mehr gibt. Das Gesetz, dass jede Ursache eine bestimmte Wirkung habe, gilt nach heutigem Erkenntnisstand im atomaren Bereich nicht.

Man kann zum Beispiel nicht voraussagen, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit dafür angeben, wann ein Atomkern zerfällt. Er zerfällt in einem bestimmten Zeitintervall (man denke an die sog. Halbwertszeit) – mehr können wir nicht wissen. Und wir können auch nicht wissen, warum er zu einem bestimmten Zeitpunkt zerfallen ist und nicht zu einem anderen. Wir kennen die Ursache seines Zerfallens nicht. Es gibt sogar Physiker, die bezweifeln, ob es überhaupt eine Ursache dafür gibt.

Damit ist das physikalische Weltbild des 19. Jahrhunderts zerschlagen. Damals dachte man, alles sei durch Ursache und Wirkung erklärbar und prinzipiell berechenbar. Wahrscheinlich stellen sich die meisten Menschen bis heute die Natur so vor. Wir erfahren sie ja auch täglich so. In Wirklichkeit jedoch gibt es nur noch Wahrscheinlichkeiten. Die fundamentalsten Naturprozesse sind nach unseren heutigen Kenntnissen nicht exakt vorausberechenbar.

Nun kann man fragen, ob diese atomaren Prozesse überhaupt Auswirkungen auf unser Leben haben. Normalerweise scheint ja doch alles nach dem Prinzip Ursache – Wirkung zu funktionieren. Das aber ist ein Irrtum.

So kann zum Beispiel das Gen einer Keimzelle durch radioaktive oder kosmische Strahlung mutieren. Die Strahlung aber ist nicht nach berechenbaren Prozessen, sondern innerhalb eines Wahrscheinlichkeitsraumes entstanden. Sie hätte also nicht unbedingt die Keimzelle treffen müssen, wenn sie früher oder später entstanden wäre. Wenn dann aus dieser mutierten Keimzelle ein neues Lebewesen entsteht, kann es die durch die Mutation entstandene Eigenschaft an viele Nachkommen weitergeben. So kann ein sozusagen zufälliger atomarer Vorgang das Leben in unserer Welt entscheidend verändern.

Für den christlichen Glauben könnte man daraus folgern, dass Gott das Eintreten eines atomaren Vorgangs innerhalb seines Wahrscheinlichkeitsraumes in die Wege leiten kann, ohne dabei die Naturgesetze außer Kraft setzen zu müssen. Jedenfalls stellt sich das nach unseren heutigen Erkenntnissen so dar. Diese Einschränkung ist nicht unwichtig, wie ich unten noch ausführen werde.

6. Diskussionen um Natur, Geist und Wunder

In der Naturwissenschaft wird schon länger diskutiert, ob die physikalischen Zusammenhänge durch „geistige Prinzipien” bestimmt werden. Dabei spielt unter anderem die Tatsache eine Rolle, dass das Verhältnis zwischen der Schwerkraft des Universums und der Explosivkraft des Urknalls genau ausgependelt ist. Man nennt das die kosmologische Feinabstimmung. Wäre der Urknall schwächer ausgefallen, so wäre der Kosmos bald schon in sich zusammengefallen. Wäre der Urknall stärker gewesen, so hätte sich die Materie so schnell ausgebreitet, dass keine Galaxien entstanden wären. Wäre die Kraft der Explosion nur um ein 10 hoch 60stel (ein Bruch mit einer 1 im Zähler und einer 1 mit 60 Nullen im Nenner) stärker oder schwächer gewesen, würde unser Universum nicht existieren (Angaben nach Paul Davies, siehe unten Literaturangabe 3). Auch andere wesentliche physikalische Naturkräfte (die sog. Naturkonstanten) sind so genau ausgependelt, dass nur geringfügige Abweichungen jedes Leben auf der Erde unmöglich machen würden. Das Universum besitzt also Eigenschaften, die die Entstehung von Leben und intelligenten Wesen zulassen oder sogar über kurz oder lang notwendig hervorbringen.

Daraus wird von manchen der Schluss gezogen, dass eine geistige Kraft bei der Entstehung des Universums am Werk gewesen sein müsse. Dass geistige Prinzipien die  Entwickung und Ordnung des Universums mitbestimmen, wurde schon von bekannten Physikern wie Werner Heisenberg, Max Planck und Carl Friedrich von Weizsäcker angenommen. Aber auch Forscher der frühen Neuzeit wie Johannes Keppler und Isaac Newton waren keinesfalls Atheisten, sondern fanden in der Natur Spuren des Wirkens Gottes.

Die Theologie reagierte teilweise anders auf den naturwissenschaftlichen Forschungsstand. Friedrich Schleiermacher (1768-1834), der berühmteste Theologe der Aufklärungszeit, meinte, Gott handele nur durch die Naturgesetze in der Welt oder dadurch, dass er auf das Bewusstsein des Menschen Einfluss nehme. Nach dieser Anschauung sind Wunder, wenn man sie als Ereignisse versteht, die die Naturgesetze außer Kraft setzen, nicht mehr denkbar.

Der bekannte Neutestamentler Rudolf Bultmann (1884-1976) betonte, die historische Forschung an den biblischen Schriften arbeite mit einer rein weltlichen Methode und gehe daher von einem geschlossenen Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen aus. Diese Methode der Geschichtsforschung könne daher kein Eingreifen übernatürlicher Mächte in die Geschichte und keine Wunder feststellen. Die historische Wissenschaft dürfe allerdings auch nicht behaupten, dass es ein Eingreifen Gottes und Wunder nicht gebe und dass ein Glaube daran eine Illusion sei. Sie könne diese eben nur nicht wahrnehmen, was aber nicht bedeute, dass es keine Wunder geben könne. Bultmann selbst hat allerdings versucht, den Sinn der neutestamentlichen Wundererzählungen jenseits des geschichtlichen Ereignisses zu sehen. Er wollte nicht unbedingt daran festhalten, dass die Wunder wirklich geschehen sind, aber er wollte ihnen dennoch eine christliche Bedeutung jenseits des faktischen Geschehens geben.  Man nannte dies die Methode der Entmythologisierung.

Es gab auch einige Theologen, die ein Eingreifen Gottes in die Geschichte und die Möglichkeit von Wundern durchweg bezweifelten. Inzwischen ist die Entwicklung in der Theologie aber dahin gegangen, dass dies nicht mehr in Frage gestellt wird. Man geht davon aus, dass Gottes Welthandeln und Wunder zum Grundbestand des Alten und Neuen Testaments gehören und dass es theologisch unzulässig sei, das faktische Ereignis von seiner Bedeutung zu trennen, wie Bultmann es getan hatte.

7. Biblische Beobachtungen

In der ersten biblischen Schöpfungsgeschichte gibt es einen für unser Thema interessanten Gedanken. Gott sagt nämlich zweimal, dass die Erde aus sich selbst etwas hervorbringen solle. „Gott sprach: Die Erde lasse sprossen junges Grün …” und „Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebende Wesen …” (1Mo/Gen 1,11.24). Diese kreativen Potenzen der Erde sind ihr durch Gottes Wort eingestiftet: Gott legt in die Materie etwas hinein, was sie dazu bringt, selber schöpferisch zu wirken. Die Schöpferkraft kommt von Gott, aber sie geht in die Materie ein.

Das passt mit der naturwissenschaftlichen Einsicht zusammen, dass es in der Entwicklung der Arten „Sprünge” gibt: Ereignisse, die nicht im voraus exakt zu berechnen sind, sondern aufgrund von Zufällen zu neuen Entwicklungen (Mutationen) führen. Der Materie kommt also ein gewisses Maß an kreativer Selbstständigkeit zu. Sie organisiert sich in Grenzen selbst, weil Gott ihr diese Fähigkeit eingestiftet hat. 

An die Stelle des Wortes Gottes, das der Schöpfung zugrunde liegt, tritt in späteren Schriften die Weisheit Gottes. Sie war schon vor der Schöpfung bei Gott (Spr 8,22-31) und durchwaltet das Universum. Man könnte sagen, sie ist die Kraft, welche die Welt im Innersten zusammenhält (Weisheit Salomos 8,1, ein apokryphes Buch), die Kraft also, die schon Goethes Dr. Faust suchte.

Im Neuen Testament tritt an die Stelle der Weisheit Jesus Christus. Nun ist der Sohn Gottes das von Ewigkeit her bei Gott existierende Wort, durch das alles geworden ist (Joh 1,2f), und er ist derjenige, der „alles [das All] durch das Wort seiner Macht trägt” (Hebr 1,3). Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen und hat in ihm seinen Bestand (Kol 1,16f; vgl. Röm 11,36; 1Kor 8,6). In philosophischer Sprache bedeutet das: Jesus Christus ist der Seinsgrund, der Grund und das Ziel alles Seins, und er hat damit eine kosmische Dimension.

Insofern könnte man sagen, dass Gott durch sein Wort, seine Weisheit und seinen Sohn in die Schöpfung eingeht und in ihr wirkt. Sie sind die geistigen Kräfte, welche die Schöpfung bestimmen und tragen. Sie werden aber nicht mit der Schöpfung identisch. Die Schöpfung wird nicht vergöttlicht. Es wird auch nicht alles, was in ihr geschieht, von Gottes lebenschaffendem Geist bewirkt. Denn in der Schöpfung gibt es nicht nur eine lebensförderliche Ordnung, sondern auch ein Leben zerstörendes Chaos. Gottes Geist geht also nicht so in die Schöpfung ein, dass er in ihr aufgeht. Er bleibt der Geist, der sich selbst nicht im Schöpfungschaos verliert, sondern das Geschehen in der Schöpfung bestimmt, wo und wann er es will. Und so lenkt er sie – auch durch ihre chaotischen Dimensionen – auf das Ziel hin, das Gott für sie beschlossen hat.

8. Fazit

Was für ein Fazit kann man nun aus alldem ziehen? Zuerst scheint mir wichtig, dass das Schema der klassischen Physik, das davon ausging, dass alles in der Natur durch Ursache und Wirkung bestimmt sei, naturwissenschaftlich längst überholt ist. Wer immer noch in diesen Kategorien denkt, ist nicht hinreichend informiert. Die Begrenztheit naturwissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten ist heute in der Naturwissenschaft unbestritten.

Darüber mag man sich nun als Christ*in freuen, weil man in den Lücken naturwissenschaftlicher Erkenntnis hervorragend Gottes Wirken unterbringen kann. Dieses Unternehmen ist aber nicht ganz ungefährlich. Denn was macht man, wenn die Naturwissenschaft irgendwann einmal diese Lücken schließen kann? Dann entfällt der Ort, an dem wir Gottes Wirken untergebracht haben.

Ich persönlich denke aber dennoch, dass niemals alles Geschehen in der Welt vom Menschen berechenbar sein wird. Das, was die Naturwissenschaft heute über das deterministische Chaos und die Quantenmechanik mit ihren Folgen weiß (siehe oben Abschnitte 3 bis 5), hat mich voll überzeugt. In den nicht berechenbaren Ereignissen, die wir „Zufall” nennen, wird immer genug Raum für Gottes Wirken bleiben.

Gott kann also genug Einfluss auf die natürlichen Abläufe nehmen, ohne die Naturgesetze durchbrechen zu müssen. Trotzdem frage ich mich auch: Warum sollte der Schöpfer der Naturgesetze diese eigentlich nicht durchbrechen können und dies auch (zumindest manchmal) tun? Ich denke dabei nicht an ein spektakuläres Mirakel, sondern an ein für uns gar nicht nachvollziehbares Handeln Gottes, wie zum Beispiel eine sogenannte Spontanheilung. So bezeichnet man medizinisch unerklärliche Heilungsvorgänge.

Man kann sicher daran glauben, dass Gott zuweilen die Naturgesetze durchbricht, aber man muss es nicht. Einmal angenommen, dass er es tut, wirkt Gott doch kaum durch aufsehenerregende Wundertaten, die vor aller Welt offenbar sind, sondern viel eher im Kleinen, Unsichtbaren, Unspektakulären, das aber ein Stück Welt radikal verändern kann.

Ein Wunder kann übrigens auch etwas Unerwartetes in meinem Leben sein, eine Entwicklung, mit der ich nie gerechnet hätte, die aber durchaus erklärbar ist. Für mich selbst ist es etwas, vor dem ich nur staunend und dankbar stehen kann und das mir daher ein Wunder ist. Für andere aber ist es ein ganz normales Ereignis. Bei alledem ist deshalb auch zu bedenken, dass ein Handeln Gottes in der Geschichte nie ein Gottesbeweis sein kann, der für alle Menschen nachvollziehbar ist.

Ein solcher Gottesbeweis ist auch nicht nötig. Denn der christliche Glaube lebt nicht von Beweisen. Er lebt auch nicht von Wundern. Darum hat Jesus nach dem Johannesevangelium die Forderung nach einem klaren Zeichen dafür, dass Gott wirkt, abgewiesen (Joh 4,48).

Der christliche Glaube lebt nämlich nicht davon, dass er Gottes Wirken sieht, sondern davon, auf Gottes Wirken zu vertrauen, auch wenn er nichts davon sieht. Das wird sogar der Normalfall des Glaubens sein. Und so wird derjenige, der Gott nicht vertraut, auch sein Wirken in der Welt nicht sehen. Für denjenigen aber, der Gott vertraut, gibt es nichts in der Welt, in dem Gott nicht auf verborgene Weise am Werk ist – und zwar so, dass Gott auch das Widergöttliche für sich in Dienst nimmt. So muss sogar das Widergöttliche gegen seinen Willen Mensch und Welt dem von Gott bestimmten Ziel entgegenführen.

Von Klaus Straßburg

Literatur:

1. Wilhelm, Thomas: Glaube und Naturwissenschaft – Wie passt das zusammen? (http://thomas-wilhelm.net/vortraege) (Dort unter 1. „Eingeladene Vorträge” die Nr. 20). Die obigen Abschnitte 1 bis 5 gehen weitgehend auf diesen Vortrag zurück.

2. Eibach, Ulrich: Gott als „intelligenter Designer”? Oder: Naturwissenschaft als atheistische Weltanschauung. Ein Beitrag zur Diskussion über „Intelligent Design” und zu Richard Dawkins Vereinnahmung der Naturwissenschaften für eine atheistische Weltsicht. (https://www.iguw.de/textsammlung/2010/gott-als-intelligenter-designer/)

3. Davies, Paul: Gott und die moderne Physik. 5. Aufl. München 1986.

4. Hans-Peter Dürr / Walther Ch. Zimmerli (Hg.): Geist und Natur. Über den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung. Bern u.a. 1989. 

2 Kommentare

  1. Muriel

    Hm.
    Ich finde (jetzt mal ganz abgesehen davon, dass ich halt Atheist bin), dass du da etwas eher irreführend vermischst.
    Es ist tatsächlich so, dass strikte Ursache-Wirkung-Beziehungen nicht mehr der Stand der Wissenschaft sind, und dass insbesondere im Bereich der Quantenmechanik Wahrscheinlichkeiten herrschen, wohl “echte” Ungewissheit, nicht nur solche aufgrund mangelnder Informationen.
    Aber trotzdem gibt es da ja sehr strikte Naturgesetze, die sich nämlich in genau diesen Wahrscheinlichkeiten ausdrücken. Quantenelektrodynamik ist meines Wissens immer noch die naturwissenschaftliche Theorie, die von allen die präzisesten Vorhersagen ermöglicht.
    Insofern sehe ich dadurch eigentlich keinen zusätzlichen Spielraum für eine*n Gött*in.
    Und dann käme natürlich hinzu, dass ein*e Gött*in, di*er in die Natur eingreift, Teil von ihr wäre, und damit keine Ausnahme von den Naturgesetzen, sondern eine Ergänzung, so denklogisch. Oder wie siehst du das?

  2. Klaus

    Hallo Muriel,

    vielen Dank für deinen Kommentar und deine Frage. Leider kann ich zur Quantenelektrodynamik gar nichts sagen, weil ich weder Naturwissenschaftler bin noch mit Elektronik zu tun habe. Aber wir sind uns ja offenbar einig darüber (wenn ich dich richtig verstehe), dass es strikte Ursache-Wirkung-Beziehungen und darum auch strikte Vorhersagen nicht gibt.

    Mit den Naturgesetzen ist es ja so, dass sie sich innerhalb von Wahrscheinlichkeitsräumen abspielen. Die Naturgesetze haben also eigentlich keine strikte Geltung, sondern sie gelten nur insoweit, als sich die Ungenauigkeit und Unbestimmbarkeit der Abläufe im Rahmen der Vielzahl von beteiligten Atomen in der Regel ausgleichen. Darum ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass z.B. ein losgelassener Stein immer wieder nach “unten” fällt. Im subatomaren Raum sieht das aber wohl anders aus, was ich durch das Beispiel von dem durch Strahlung betroffenen Gen einer Keimzelle ausdrücken wollte. Und das kann, wie ich beschrieben habe, enorme Auswirkungen auf die “sichtbare Wirklichkeit” haben.

    Ich denke, das gilt letztlich sogar auch für den Stein. Denn er wird wohl bei identischen Bedingungen (soweit möglich) nicht immer in gleicher Weise zu Boden fallen, sondern mal so und mal so zu liegen kommen. Oder ein Würfel, der mal auf diese und mal auf jene Zahl fällt, obwohl er immer aus der gleichen Höhe und in derselben Position losgelassen wurde. Ich stelle mir das so vor: Stein und Würfel fallen zwar aufgrund der vielen beteiligten Atome immer wieder nach “unten”, aber sie bleiben eben doch unterschiedlich liegen, weil an der Bestimmung der Lage nur ganz wenige Atome beteiligt sind, so dass die Ungenauigkeit ihrer Einwirkung dann auch unterschiedliche “Ergebnisse” produziert.

    Das alles ist sicher für einen Naturwissenschaftler ganz furchtbar unwissenschaftlich ausgedrückt. Aber vielleicht wird ja klar, was ich meine.

    Ich möchte noch betonen, dass das alles für mich kein Gottesbeweis ist. Es ging mir nicht darum, Gott zu beweisen, sondern die Argumentation mancher Leute, die behaupten, es könne Gott nicht geben, zu widerlegen. Ich wollte also die angeblich naturwissenschaftliche Beweisführung gegen eine Existenz Gottes hinterfragen.

    Zu deiner Frage: Gott (weder männlich noch weiblich) ist für mich Schöpfer im Gegenüber zu seiner Schöpfung. Er ist nicht Teil der Schöpfung, sondern steht einerseits außerhalb von ihr, begibt sich aber andererseits in sie hinein (das feiern Christen zu Weihnachten!). Er ist in der Welt, aber er wird nicht Teil der Welt. Er kommt immer von außen in die Welt hinein, kann sich aber auch aus ihr zurückziehen. Darin ist er frei und somit nicht eingebunden in die Welt und ihre Naturgesetze. Also der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf ist hier zu bedenken, und der Schöpfer ist natürlich nicht zugleich Geschöpf (er kann in einen Menschen wie Jesus zwar eingehen, aber er wird dadurch nicht zum Geschöpf).

    Ich hoffe, meine Position ist damit etwas klarer geworden. Falls du noch andere Aspekte einbringen möchtest, bin ich gespannt!

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