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Das fromme Universalgenie

Von Josef Bordat. Das fromme Universalgenie

Gottfried Wilhelm Leibniz zum 364. Geburtstag.

Heute vor 364 Jahren wurde in Leipzig der deutsche Philosoph, Mathematiker, Ingenieur, Diplomat, Jurist und Theologe Gottfried Wilhelm Leibniz geboren. Leibniz zählt zu den bedeutendsten Denkern der Geschichte. Dazu war er gläubiger Christ und sehr um die Ökumene bemüht. Er kann daher wohl zu Recht als christlicher Philosoph bezeichnet werden. Grund genug für ein kleines Geburtstagsständchen.

Ausgehend von seinen grundlegenden „großen Prinzipien“– dem Prinzip der Identität und des Widerspruchs, dem Prinzip des zureichenden Grundes und dem Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren, der Kontinuität und des Besten –, dem für ihn maßgeblichen Harmoniegedanken, der sich in der Universalharmonie und der prästabilierten Harmonie entfaltet, sowie seiner Begriffs- und Wahrheitstheorie, entfaltet Leibniz sein Denken, dessen Stärke darin liegt, dass er entlegendste Bereiche zusammenführt und daraus neue Erkenntnis gewinnt. Ob Leibniz die Einheit der Christen zu befördern suchte, Maschinen konstruierte, nach mathematischen Zusammenhängen suchte, Rechtsgutachten verfasste, historische Forschungen betrieb, Politikberatung ausübte oder Neuerungen der naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung rezipierte, ständig dachte er vernetzt und im besten Sinne transdisziplinär.

Über allem stand bei Leibniz der „wissenschaftliche Gottesdienst“. Was immer Leibniz tat, geschah mit dem Anspruch, seinen christlichen Glauben zu verkünden und Gottes Schöpfung zu rühmen. Nicht nur in seiner Theodizee, in der er die Gerechtigkeit Gottes angesichts der Übel in der Welt zu rechtfertigen versuchte, zeigt sich seine Religiosität, nein: Bis in die Mathematik wirkt sein tiefer Glaube. So entstammt etwa der Binärcode, auf dem die Elektronik und die Computertechnologie basiert, einer theologischen Überlegung: Gott [=1] schafft aus dem Nichts [=0] eine vollkommene Welt, verdeutlicht in der vollkommenen Sprache Gottes [=Mathematik], somit muss es gelingen, alle natürlichen Zahlen mit „1“ und „0“ darzustellen, was ja im Binärsystem auch der Fall ist. Leibniz wollte die Dyadik sogar zu Missionszwecken einsetzen und den chinesischen Kaiser damit zum Christentum bekehren, da dieser „ein sehr großer Liebhaber der Rechenkunst sey“.

Leibnizens Philosophie lässt sich am besten über den Substanzbegriff und das Leib-Seele-Problem erschließen, das Leibniz in Abgrenzung zu Descartes, Malebranche und Spinoza neuartig löst und damit die Grundlage seiner Monadologie entwickelt. Descartes’ Lösung ist eine organisch-mechanistische, nämlich die Vorstellung einer Verbindung von Leib und Seele in der Zirbeldrüse, in der er die Interaktion von Materie und Geist, die Kopplung von leiblichen Vorgängen und Bewusstseinszuständen verortet. Bei Malbranche kommt eine Verbindung von Leib und Seele fallweise zustande. Gott sorgt dafür, dass ich in dem Moment, wo ich mir mit einem Hammer auf den Daumen schlage, Schmerz empfinde, d. h. einen entsprechenden Bewusstseinszustand habe. Deswegen ist seine Lösung unter dem Stichwort Okkasionalismus bekannt. Bei Leibniz ist der Baustein der Welt die unteilbare, unerzeugbare und unzerstörbare Monade, die als „beseeltes Atom“ allen Dingen zugrunde liegt. So wird die Materie in der Substanzmetaphysik Leibnizens vergeistigt – Körper und Seele erscheinen gleichermaßen als monadische Entitäten. Dies erinnert in der Tat eher an Spinozas Monismus, an den Gedanken der Unterordnung von Geist und Materie unter eine allumfassende Entität, nämlich Gott, muss aber insoweit von Spinozas Substanzmonopol Gottes unterschieden werden, als die Monaden bei Leibniz Substanzen sind.

Damit ist nun freilich das Leib-Seele-Problem noch nicht gelöst, denn das Zusammenwirken von Körpermonaden und Seelenmonaden muss erklärt werden. Denn die Frage ist ja, wie die Einstellung der Monaden aufeinander geschieht, wenn sie untereinander keinen Kontakt haben und den können sie in Leibnizens Vorstellung nicht haben, da sie „fensterlos“ sind. Leibniz sagt – und das ist ein ganz zentraler Gedanke seiner Philosophie –, dass ein geordnetes Zusammenspiel von Leib und Seele dadurch zustande kommt, dass Gott die grundsätzlich getrennten Sphären in einer prästabilierten Harmonie aufeinander eingestellt hat – wie ein Uhrmacher, der zwei Uhren synchronisiert –, damit in allen Fällen eine Verbindung von Materie und Geist ermöglicht ist. In seiner Schöpfungstheologie geht Leibniz noch einen Schritt weiter: Diese von Gott eingerichtete Welt ist die beste aller möglichen Welten, denn „gäbe es nicht die beste (optimum) aller möglichen Welten, dann hätte Gott überhaupt keine erschaffen“.

Diese Gedanke der Optimalwelt ist dann für Leibnizens zweites Werk, das noch zu Lebzeiten erschienen ist, maßgebend, für seine Theodizee, in der er versucht, die Freiheit des Menschen und die Güte Gottes angesichts des in der Welt erkennbaren Übels in Einklang zu bringen. Leibniz definiert neben den auf Augustinus zurückgehenden Klassen malum morale und malum physicum eine dritte Art von Übel, das malum metaphysicum, die Unvollkommenheit. Es muss dieses Übel geben, um ein Streben nach Vollkommenheit zu ermöglichen. Wäre alles schon vollkommen, wäre jedes Streben, mithin jedes Handeln sinnlos. Ferner würde sich dann kein signifikanter Unterschied zwischen dem vollkommenen Schöpfer und seiner dann ebenfalls vollkommenen Schöpfung ergeben, was die Schöpfung an sich als ununterscheidbar von Gott und damit als „Nicht-Schöpfung“ entlarven würde, denn die Reproduktion des Gleichen führt nur zur Schaffung von Identitäten.

So sind die Menschen als endliche rationale Wesen, denen Gott im Rahmen der Schöpfung keine Vollkommenheit zubilligen konnte, dem malum metaphysicum als einer „natürlichen Begrenzung“ des Geschaffen unterworfen, aus dem sich dann die physischen Übel, die Leiden, und die moralischen Übel, die Sünden, ergeben. Das malum morale ist unterdessen ein Produkt der Freiheit des Menschen und hätte nur auf Kosten dieser vermieden werden können, d. h. ein grundsätzlicher Ausschluss des moralisch Bösen von vorne herein bedeutet für Leibniz das Ende der Freiheit. Das Böse muss also um der Freiheit Willen als Teil der Schöpfung akzeptiert werden und ist folglich für Leibniz kein fahrlässiger Schöpfungsfehler Gottes, sondern ein Zugeständnis an die Freiheit des Menschen. Es bietet ihm Chancen zur Vervollkommnung, zur Verbesserung der Welt. Die Erfahrung des Übels soll demnach nicht dazu führen, mit Gott zu hadern, sondern die Welt im Sinne der perfectibilitas stets und ständig zu verbessern und damit bei sich selbst anzufangen.

Das gilt auch für den schwierigen Prozess der Ökumene, den anzustoßen Gottfried Wilhelm Leibniz sein Leben lang sehr am Herzen lag. Leibniz hat sich selbst stets zur Augsburger Konfession bekannt, ohne jedoch der Orthodoxie der Lutheraner etwas abgewinnen zu können. Aus einigen Darstellungen geht jedoch ein gewisser Indifferentismus Leibnizens hervor. Für Pichler etwa war Leibniz „weder Protestant noch Katholik im orthodox-confessionellen Sinne“, sondern eher der „prophetische Typus der christlichen Nationalkirche“. Insoweit ist es nicht vermessen, Leibniz auch als Theologen zu sehen – wenn auch ohne dogmatische konfessionelle Bindung. Diese Offenheit hat seine theologischen Gedanken eher beflügelt als gehemmt und auch in Fragen der Ekklesiologie zeigt sich in ihr eine wichtige Voraussetzung für die moderierende Rolle, die Leibniz in den Verhandlungen zur Reunion der evangelischen und der römischen Konfession am Ende des 17. Jahrhunderts spielte. Ich habe dazu in dem Aufsatz „Leibnizens Beitrag zum Diskurs um die Ökumene“ (http://gloria.tv/?media=80733) einige Ausführungen gemacht.

(Josef Bordat)

foto: wikicommons,wikipedia.de

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