Der israelische Ministerpräsident Netanjahu versucht, durch eine Justizreform die Demokratie in Israel zu schwächen oder vielleicht sogar zu beseitigen:
Sie haben recht
Die protestierenden Israelis fürchten das Ende ihrer Demokratie. Sie brauchen Solidarität – auch aus Berlin.
Ein Kommentar von Jörg Lau […]
[…] Die sogenannte Justizreform unterwirft das Oberste Gericht wechselnden politischen Mehrheiten. Es wird nicht mehr imstande sein, Gesetze unabhängig und furchtlos zu kontrollieren. Außenministerin Annalena Baerbock und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben ihre Sorge bekundet. Auch der Kanzler muss jetzt deutlich Stellung beziehen. In Jerusalem geht es nicht um einen Politik-, sondern um einen Systemwechsel. Israel droht ein Putsch im Gewande der Legalität. […]
Die deutsch-israelische Aussöhnung ist – so kitschig das klingen mag – ein historisches Geschenk. Freundschaft mit Israel beweist sich heute darin, dass man einander die Wahrheit sagt. Olaf Scholz sollte die Gelegenheit nutzen, sich gegen die Schwächung des Rechtsstaats auszusprechen.
Quelle ZEIT ONLINE
Ob Bundeskanzler Olaf Scholz der richtige Mann für klare Worte ist ?
Im Vorfeld des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine jedenfalls brachte er es nicht fertig, das Wort Nord Stream 2 in den Mund zu nehmen. Hätte er aber unmissverständlich und glasklar deutlich gemacht, dass Nord Stream 2 im Falle eines russischen Angriffs niemals ans Netz gehen würde, hätte es – womöglich – diesen russischen Angriff nicht gegeben. Die Ukraine wäre nicht seit einem Jahr im Krieg, 13 Millionen ukrainischer Menschen wären nicht zu Flüchtlingen geworden, ganze Städte nicht zerstört worden.
Nun ist unklar, ob es nur an Nord Stream 2 gelegen hat, wahrscheinlich nicht. Selbst, wenn Olaf Scholz klare Worte gefunden hätte und Nord Stream 2 ganz deutlich erwähnt hätte, wäre der Angriff vielleicht trotzdem gekommen, war er doch offensichtlich schon lange im Vorfeld vorbereitet worden. Dennoch war er womöglich kein Selbstläufer. Denn möglicherweise hätte Putin den Angriff im Falle einer klaren Ansage durch Olaf Scholz eben doch abgeblasen, wenn Herr Scholz die politischen und wirtschaftlichen Kosten im Vorfeld nämlich sehr deutlich kommuniziert hätte. Stattdessen blieb Herr Scholz vage und fabulierte davon, dass ein russischer Angriff irgendwelche nicht weiter benannten Konsequenzen habe. Diese sogenannte strategische Unbestimmtheit aber mag bei Staaten, die militärisch bisher glaubhaft agiert hatten, durchaus funktionieren, bei Deutschland jedoch, welches sich immer mit einem Blick auf sein wirtschaftliches Wachstum und günstige russische Rohstoffe ausgerichtet hatte, funktionierte sie natürlich nicht, weil sie unglaubhaft war.
Und nun soll Herr Scholz, dessen Stärke wohl nicht die klare und deutliche Rede ist, klare und deutliche Worte an Herrn Netanjahu richten ?
Man wird ja noch träumen dürfen. Allerdings wären solche Worte möglicherweise tatsächlich hilfreich. Vielleicht würden sie nichts bewirken, siehe Nord Stream 2, vielleicht hätten sie aber auch Wirkung. Man wüsste es nur, wenn man es versucht.
Und es steht noch etwas anderes auf dem Spiel. Die deutsche Staatsräson gegenüber Israel nämlich. Es macht Sinn, dass Deutschland in besonderer Weise die Beziehungen zu Israel pflegt, zu dem Zufluchtsort, der Jüdinnen und Juden nach dem Wüten der Hitler-Diktatur und den unsäglichen Schrecken der Shoa bzw des Holocausts eine Heimat werden konnte.
Aber Staatsräson in Deutschland ist auch, sich für die Demokratie einzusetzen und, ebenfalls aus geschichtlichen Gründen, sich gegen eine Diktatur zu positionieren.
Sollte Netanjahu nun Israel in Richtung Diktatur führen, käme die deutsche Staatsräson auf Dauer in die Bredouille. Einerseits will sie Israel unterstützen, andererseits will sie Diktatur bekämpfen. Wie man aus diesem Dilemma wieder herauskommen sollte, wäre unklar. Doch ein solches Dilemma könnte möglicherweise durch klare Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz im Vorfeld abgewendet werden. Könnte. Wenn Herr Scholz ein Mann der klaren Worte wäre. Konjunktiv.
[…] Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat einen Kompromissvorschlag des Staatspräsidenten Izchak Herzog im Streit um den umstrittenen Plan seiner Regierung für eine Justizreform zurückgewiesen. […]
Herzog hat seinen Vorschlag bei einer im Fernsehen übertragenen Ansprache vorgestellt – nach mehr als zwei Monaten, die von Massenprotesten gegen das Vorhaben und internationaler Kritik geprägt waren. Das Überleben des Landes hänge davon ab, einen Kompromiss zu erreichen, sagte der Präsident. Jeder, der denke, dass es nicht zu einem Bürgerkrieg kommen könne, habe keine Ahnung. Ein solcher Konflikt sei in greifbarer Nähe, sagte Herzog. […]
Quelle ZEIT ONLINE
Nachtrag 17:15 Uhr
Nun ja, gut, Olaf Scholz hat es immerhin angesprochen. Ein bisschen zumindest. Man wird sich ja noch was wünschen dürfen.
[…] Bundeskanzler Olaf Scholz hat Bedenken Deutschlands angesichts der umstrittenen Justizreform in Israel geäußert. “Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam – und das will ich nicht verhehlen: mit großer Sorge”, sagte der SPD-Politiker nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin. “Unser Wunsch ist, dass unser Wertepartner Israel eine liberale Demokratie bleibt.” […]
Quelle ZEIT ONLINE