Eigentlich dachte ich ja immer, dass ich die “Hauptgeschichten” in der Bibel kenne. Aber denkste, denn kürzlich wurde ich eines anderen belehrt…
Das Buch der Richter ist eher eine düstere Lektüre, weil die Geschichte(n) immer nach demselben Schema verlaufen:
Das Volk Israel macht, was es will. Sie hören nicht auf Gottes Grundsätze und Hinweise. Gott lässt sie Schweres erleben, will sie aufrütteln. Sie fangen an, um Hilfe zu rufen. Gott schickt einen Retter, Richter, der sie aus dem Schlamassel herausführt. Alles wird gut. Dann fängt wieder alles von vorne an…
weiter geht es hier… Foto: A. Meissner
Die Kath. Kirche hat wie alle anderen Kirchen ein fundamentales Problem: Sollange der Staat es fuer notwendig hielt den Zusammenhalt der Gesellschaft durch ein einheitliches religoeses Gefuege zu stuetzen und die gesellschaftlichen Eliten dies weitgehnd unterstuetzten, waren der Kirche ihre “Schaefchen” sicher.
Heute jedoch haben sich die gesellschaftlichen Eliten zum grossen Teil von der Kirche emanzipiert. Durch die Entwicklung einer staatlichen Daseinsfuersorge wurden auch die unteren Schichten von der Angst vor elementarer Not befreit, so dass der “seelische Notnagel” Religion auch dort nicht mehr von noeten ist.
Hochentwickelte Gesellschaften benoetigen keine Religion mehr um zu funktionieren – und damit verliert die Kirche ihre Funktion.
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Es ist interessanterweise so, dass weltweit (mit der bemerkenswerten Ausnahme der USA) alle hochentwickelten Nationen sehr hohe Anteile an Agnostikern und Athesiten haben, waerend die rueckstaendigen Nationen der Welt fest in der Hand von Religionen stecken, wie Europa vor noch nicht so langer Zeit.
@Rheinländer
Da widerspreche ich. “Höcherentwickelte” Kutluren verzeichnen einen hohen Anstieg psychischer Krankheiten. Vermutlich deshalb, weil die Menschen oft sinnentleert, vereinzelt / vereinsamt und in unguter Weise individualisiert vor sich hin leben.
Wenn Druck durch die Arbeit kommt, fehlt ihnen ein Auffangnetz. Ein Netz, das Sinn stiften kann.
Menschen werden an dem sinnlosen Leben krank.
Einige flüchten in Esoterik, Heilsteine, Magnetwellenheilung etc.
Der Glaube an den Einen Gott, der die Grundlage allen Seins ist – so denken ja die 3 abrahamitischen Religionen – zentriert die Menschen auf ihn, weg von sich. Kann sie erlösen aus dem Drehen-um-sich-selbst, kann frei machen von innerweltlichen Zwängen und Abhängigkeiten.
Gerade in hochentwickelten Gesellschaften ist die Frage nach Sinn sehr hoch.
@theolounge
Warum sollten es denn der Glaube an den EINEN Gott sein? Habe mich länger in einem buddhistischen Land aufgehalten und war beeindruckt, wie – relativ – frei (gemessen an Ländern, in denen die abrahamistischen Religionen vorherrschen) die Menschen dort von “innerweltlichen Zwängen und Abhängigkeiten” sind. Der Freiheit scheint es gleichgültig zu sein was der Inhalt des Glaubens ist.
Und wie steht es mit Anhängern der abrahamitischen Religionen, die zwanghaft and den EINEN glauben und Schuldkomplexe entwickeln, wenn sie mal nicht beichten oder zur Mosque gehen? Vor der Mosque steht ja, wie mich ein orthodoxer Änhänger des Islam mahnte, ein Engel Allahs, der jeden Besuch genau in einem Buch registriert und die Einhaltung der Gebetsregeln überwacht. Wehe dem, der seine fünf Niederwerfungen täglich nicht verrichtet!
Nebenbei: der Anstieg psychischer “Krankheiten” hängt auch davon ab, was man als solche definiert und was man über diese in der Vergangenheit weiss. Damit sollte sich allerdings die Wissenschaft befassen.
Gruß
@Khalid bin Rhub al Khali
Natürlich könnte es theoretisch auch sein, dass Gott mehrere ist. Im Christentum zb ist ja solch ein Gedanke mit verankert (Trinität).
Ob der Engel Allahs nun auf Einhaltung der Regeln schaut, oder autoritäre Mönche in einer Klosterschule….ist wohl irgendwo egal. Gut ist es, wenn man seinen Glauben so leben kann, dass er eher befreiend wirkt, anstatt einzuengen.
@theolounge
Den EINEN Gott und die abrahamitischen Religionen haben Sie kategorisch angeführt.
Zitat: “Natürlich könnte es theoretisch auch sein, dass Gott mehrere ist. Im Christentum zb ist ja solch ein Gedanke mit verankert (Trinität).”
In diesem Sinn hat der Buddhismus übrigens überhaupt keinen Gott.
Wie soll ich Ihr “theoretisch” interpretieren? Frage, was glauben Sie eigentlich tatsächlich? Ist das christlicher Glaube oder die von Ihnen selbst gebastelte Religion? Das ist eine echte Frage von mir und keine Rhetorik, nachdem ich Ihre relativierenden Kommentare las. (Um einer Gegenfrage vorzubeugen: Ich bin Agnostiker und fühle mich, (so wie Sie es sicher meinen) geistig frei von “innerweltlichen” Zwängen. Agnostik kann sehr befreiend sein.)
Zitat
“Gut ist es, wenn man seinen Glauben so leben kann, dass er eher befreiend wirkt, anstatt einzuengen.”
Dann sind wir also wieder bei der psychischen Verfassung jedes Individuums, die allein über das Gefühl von Zwang oder Freiheit entscheidet, mit oder ohne Glaube an eine der abrahamitischen Religionen.
Die abrahamitischen Religionen sind dann wohl nur ein Vehikel, das ersetzt werden kann durch “einen Gott der auch mehrere ist” – oder vielleicht durch gar keinen persönlichen wie im Buddhismus?
@Khalid bin Rhub al Khali
Ich persönlich glaube an den christlichen Gott, wie er sich in Jesus gezeigt hat und von den Propheten im Alten Testament angekündigt wurde.
Ich denke, dass die Juden denselben Gott meinen. Und sogar auch die Moslems.
Wenn man aber anfängt, zu spekulieren, dann könnte natürlich alles mögliche sein, dann könnte Gott auch mehrere Götter usw. sein. Für mich ist er das aber nicht.
Wenn man sich nicht an die abrahamitische Tradition hält, kann es sein, dass man sich seinen eigenen Gott bastelt und bei irgendeinem Götzen herauskommt.
Zumindest aus meiner Sicht und aus christlicher Sicht.
Das, was ich vom Buddhismus weiß, ist ganz interessant. Es geht – wenn ich das richtig verstehe – darum, das Nirvana zu erreichen, das scheinbar nicht das NICHTS bedeute, sondern eine Art von Bewusstsein, die das Letztendliche erfahren bzw.damit in Einklang sein kann.
Warum nicht. Was mich dabei allerdings stört, ist die Vorstellung, dass man dies aus eigener Kraft erreichen muss. Wer dies nicht schafft, bleibt ewig im irdischen Kreislauf stecken, wer also nicht “gut genug” ist. Das kommt mir etwas konstruiert vor.
@theolounge
“Pychische Krankheiten”: Vielleicht sollten sie einmal den Hexenhammer lesen. Selbst fuer mich als Laien ist mehr es als als offensichtlich, dass der Author, Heinrich Kramer, genannt Institorius, offensichtlich einen erheblichen “Schaden” hatte (am Rande bemerkt: Das meinten schon einige Zeitgenossen, so der Bischof von Bixon, der ihn schlicht fur verrueckt erklaerte, “realiter mihi delirare videtur”, und ihm dringend riet sich in ein Kloster zurueckziehen). Diese offensichtliche Paranoia war aber eine Massenbewegung, die in den nachfolgenden Jahrhunderten 10’000en, vielleicht auch 100’000en, von Maenner, Frauen und Kindern [sic!] in einem allgemeinen Wahn in verschiedenen Verfolgungswellen das Leben kosteste.
Ferner: Wie schon von “Rhub al Khali” angedeutet, habe wir keine sauberen Zahlen ueber pychische Probleme fruehrer Zeiten. Soetwas wie Pychologie entstand erst in den fruehen 1900 – zuvor wurden “Verrueckte” einfach weggesteckt (“Narrenturm”) und andere Erkrankungen ignoriert oder mit Begriffen wie “Schwermuth” belegt.
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Die moderne, aus der Aufklaerung erwachsene, Gesellschaft, und der dazugehoerige Staat, geben keine keine Vorgabe mehr im metaphysischen/religoesen Bereich. Das war vor ein paar Jahrunderten noch anders:
Ein Mensch des europaeischen Mittelalters war eingebunden in eine Heilgeschichte, in einer sehr ueberschaubaren Welt: Die meisten Menschen verliessen kaum die allernaechste Umgebung und selbst die Gelehrten hatten irreale Ideen ueber die Groesse des Universums und dessen Alter. Wahrscheinlich war diese kleine Welt mit ihrer klaren Bestimmung und Platz fuer jeden Einzeln auch noetig um in den misserablen Lebensbedingungen ohne mentalen Schaden zu nehmen zu ueberleben.
Das gesamt “Wissen” der damaligen Zeit stuetze diese Weltsicht und es gab keine Alternative zu diesen beschraenkt-metaphysisch-religoesen Weltbild. Der Staat, bzw. die Gesellschaft, musste also dieses System aufrechterhalten, da ohne Alternative.
Die moderne Gesellschaft ist in einer anderen Situation: Wir haben heute zumindest eine gute Vorstellung davon wie alt und wie gross das Universum ist und wir verstehen zumindest im Ansatz, “was die Welt im Innersten zusammenhaelt”. Dieses Wissen wurde empirisch gewonnen und ist die Grundlage einer Gesellschaft, die sellbst ihren aermsten Mitgliedern Lebensbedingungen bereiten kann von denen Kaiser und Koenige des Mittelalters nur traeumen konnten.
Eine Gesellschaft, die nun anfinge, aus dieser Situation heraus, ein metaphysisches Konzept, aka Religion, zu postulieren, wuerde genau ihre Basis der Existenz, die wissenschaftliche Methode, negieren und damit ihre eigene Grundlage zerstoeren – d.h. die Grundlage der in der gesamten Menschheitsgeschichte beispielslosen Erfolgsgeschichte der modernen Zivilisation.
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Die Folge ist natuerlich, dass jeder in einer solchen Gesellschaft sich seinen Sinn selber suchen muss – d.h. er hat die Freiheit sich diesen Sinn zu suchen. Es steht jedem frei z. B. in Kloster einzutreten, sein Leben dem Schutz des Pandabaeren zu witmen, sich sich um seine Familie zu kuemmern oder in den Tag hineinzuleben.
Wollen Sie ernstlich dem Menschen diese Freiheit wieder nehmen?
Korrektur: Ich dachte wohl im Tran etwas zu sehr an Brixton in London, ich meinte natuerlich Brixen in Suedtirol.
@theolounge
Welche Vorstellung ist ihnen lieber: Nach einem ersten Versuch in der Hölle zu schmoren (nach weitläufiger christlicher und muslimischer Vorstellung), wenn man nicht “gut genug” ist – oder die Chance zu haben, im “irdische” Kreislauf sich zu vervollkommnen, auch wenn das im ersten Anlauf nicht gelingt?
Warum haben Sie denn Angst, daß man, – wie auch immer Sie das nennen mögen, Seeligkeit oder Nirwana, aus eigener Kraft erreichen muß? Haben Sie Angst vor der Freiheit und der daraus erwachsenden moralischen Verantwortung?
Viel unangenehmer als dieses ist jedoch vielen Anhängern der christlichen und islamischen Religionen nach meinen Erfahrungen aus Diskussionen, daß der Buddhismus in dem Erreichen des Nirwana die vollständige Auflösung des Individums sieht. Kein “Ich”, kein “Du” oder kein “IHR” kein “Wir”. Das ist mir persönlich keineswegs unsympatisch.
Wie schon erwähnt, bin ich Agnostiker, mache also keine Aussagen über das was ich nicht wissen kann, aber die buddhistischen Vorstellungen erscheinen mir persönlich über den doch oft allzu menschlichen Vorstellungen und Wünschen der Anhänger Abrahamitischer Religionen zu stehen.
Bitte fassen Sie das nicht als einen Angriff auf. Es ist meine persönliche Meinung
@Khalid
Das mit dem “irdischen Kreislauf” ist ein guter Punkt.
Nicht nur, weil jegliches “Leben” ein “Versuch” ist, sondern auch,
weil die Gut-Böse (Himmel-Hölle)-Theorie gewisser Dogmatiker bei
diesem Gedanken an Wirkung verliert.
So wie ich weiss, wurde Reinkarnatiion erst zum “roten Tuch”,
als das Urchristentum vom römischen Staat “assimiliert” wurde.
@Rheinländer
Zur Zunahme von psychischen Krankheiten: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,496014,00.html
Möglicherweise nahmen sie gar nicht zu, sondern wurden nur früher nicht registriert, wie Sie sagen. Möglicherweise nehmen sie aber auch zu – dieser Sicht würde ich mich anschließen.
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Wir leben in einer pluralen Gesellschaft. Ich möchte gewiss niemandem diese Errungenschaften nehmen.
Allerdings sind Glaube und moderne Gesellschaft nicht zwangsläufig ein Gegensatz.
http://www.ekd.de/aktuell/061031_huber_faz.html
In dem Spiegel-Artikel geht es um die Zunahme von Erkrankungen durch den hoeheren Leistungsdruck in der modernen Arbeitswelt – das ist aber “andere Baustelle”.
Ich denke schon, dass hier Loesungen gefunden werden muessen.
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Nun, dass die EKD versucht hier Felle zu retten ist nicht weiter verwunderlich, dass sie sich hier auf Bendikt XVI bezieht auch nicht weniger wunderlich: Beide Kirchen haben hier das gleiche Problem. Der Bezug auf Bendikt XVI ist insofern interessant, dass es dieser Papst war, der in seiner Encylika “Spe salvi” die Bacon’sche Methode ausdruecklich ablehnte.
Diese Methode ist aber die Grundlage unser Gesellschaft. Die wirklich Wichtigen sind nicht die Merkels, Obamas, Browns oder Putins; die wirklich Wichtigen fuer das Ueberleben unser Gesellschaften sind die Nobelpreistraege fuer Physik, Chemie, und deren Kollegen. Diese folgen, berufsbedingt, der wissenschaftlichen-empirischen Methode.
Als vor einigen Jahren ein US-Fernsehprediger meinte, dass die Atheisten doch die USA verlassen sollte, wurde eine Liste veroeffentlich von prominenten US-Atheisten: Die USA haetten damit fast ihre gesamte wissenschaftliche Elite auf einem Schlag verloren, einschliesslich eines ganzen Schocks Nobelpreistraegern.
Die wirklich wichtigen für das Überleben unserer Zivilisation sind Menschen, die sich ihrer Individualität bewusst sind und dies auch in Worten sondern auch in Taten vorleben. Die begreifen, dass ihre eigene Individualität auch sehr konkret etwas mit den “Anderen” zu tun hat. Und das können alle möglichen Leute sein.
P. S.
Noch was zu diesem Ignoranten, dem Fernsehprediger:
Sollten wirklich alle Atheisten eines Tages die USA verlassen (vor allem diejenigen, die sich bis dato aus Angst vor sozialen Nachteilen nicht geoutet haben), dann wird’s ganz schön leer da drüben.
@Rheinländer
Lesen Sie doch mal folgende Bekenntnisse von hochrangigen Naturwissenschaftleren, die allesamt einen Gottesbezug herstellen:
http://gott.es/bekenntnisse.htm
@theolounge
Aufgefallen, dass der einzige Wissenschaftler aus der 2. Haelfte des 20. Jhrhtds. Stephen Hawking ist?
Ein Wort zu Einstein: Ueber Einsteins religoese Ueberzeugung ist viel geschrieben worde: Bei allem was ich weiss, scheint seine Vorstellung von Gott der des Baruch Spinoza zu entsprechen: Nur hat dieser Gott Spinozas kaum den Namen mit dem persoenlichen Gott des Christentums gemein.
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Im Uebrigen: Ein Argument, dass jener oder dieser grosse Wissenschaftler an Gott glaube ist kaum stichhaltig fuer einen Gottesbeweis.
@philgeland
Das was unsere Gesellschaft von allen bisherigen Gesellschaften unterscheidet, ist die konsequente Anwendung der Wissenschaftlichen Methode und die Umsetzung derer Erkenntnisse in Technologie. Diese Methode schafft Produktivkraefte, die fruehren Generationen wohl nur als “Magie” vorstellbar gewesen waeren. Wir haben damit aber auch angefangen einen “Tiger zu reiten”, der immer immer schneller rennt. Wenn ich z.B. einen Gross-Computer aus dem 1970ern mit der Run-Of-the-Mill-Kiste vergleiche auf dem ich das schreibe, so ist meine Kiste um Kategorien leistungsfaehiger.
Gesellschaften folgen aber in ihren Strukturen ihrer technologischen Grundlage. Die Folge, dass wir mit mit jedem immer schneller folgenden Inovationsschritt neue gesellschaftliche Rahmenbedingen haben, aber auch neue Problem, deren Loesung wiederum in neuen Innvovationsschritten liegt.
Wir haben damit das Ueberleben unser Zivilisation unmittelbar vom technischen Fortschritt und der naturwissenschaftlichen Forschung abhaenig gemacht.
Ob es uns gefaellt oder nicht: Die permanente soziale, wissenschaftliche und technologische Revolution ist Basis unser Gesellschaft. Es ist eine dialektische Aussage reinster Natur: “Stabilitaet durch Revolution”.
Deshalb meine Aussage bezueglich der “wirklich Wichtigen fuer das Ueberleben unser Gesellschaften”.
Was für eine interessante Ansammlung von Kommentaren.
Sie lesen sich so, als würde man einer Kette von Domino-Steinen zusehen,
wie sie nacheinander umfallen. Eine faszinierende, argumentative
Kettenreaktion, bei der es Nebensache zu sein scheint, ob der eine “Stein”
für die Argumente des anderen wirklich zugänglich ist. Das ist hier unwesentlich
und schmälert die “Reaktion”, also die Qualität der Kommentare nicht.
Nicht schlecht, der Specht.