Unangenehm und auch gefährlich für den Strassenverkehr: Die Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche wurde 1,3 Promille im Atem von der Polizei gestoppt. Nicht, dass jeder a priori völlig ausschließen könnte, dass ihm oder ihr das nie und nimmer passieren könnte. Allerdings ist es kein gutes Beispiel, das hier gegeben wird. Die Frage ist, ob dies zum Fall oder Rücktritt von Frau Käßmann führen könnte. Was sehr zu bedauern wäre, weil die Frau charismatisch und gut ist und sicher frischen Wind in die EKD bringt. Aber wie umgehen mit der aktuellen Situation ?
Es klingen noch andere Kritikpunkte nach, die nun sicher von den Kritikern hervorgeholt werden: eine geschiedene Frau als Vorsitzende der EKD, eine kritische Stimme zum Afghanistankonflikt, und nun dummerweise dieser Vorfall.
Allerdings muss man unterscheiden. Die ersten beiden Punkte der Aufzählung sprechen für Frau Käßmann: gerade auch jemand, der in einer Ehe gescheitert ist, sollte – als Vorbildfunktion – einen derartigen Posten innehaben, das ist gelebte christliche Ethik. Jesus ging zu den Menschen speziell, bei denen nicht alles so gelaufen ist, wie die Gesellschaft es gerne gehabt hätte. Zu denen, die von der Gesellschaft gerne verachtet worden wären.
Zum zweiten Punkt: Afghanistanpolitik und Käßmanns Aussage, nichts sei gut in Afghanistan. Auch dies ein Punkt, mit dem sie punkten kann: durch ihre, wenn auch recht direkte, Aussage kam eine politische Diskussion neu in Gang. Eine Diskussion, die sich darüber stärker klar wird (und werden muss), dass eben Deutschland tatsächlich im Krieg ist – in Afghanistan. Eine Debatte auch darüber, ob das denn wirklich so sein müsse, ob es nicht Alternativen gebe. Eine Diskussion darüber, welche Legitimation man habe, in diesem fremden Land kriegerische Handlungen zu unternehmen.
Zwei Pluspunkte. Nun jedoch ein Kritikpunkt. Ein Punkt, bei dem man sehen kann, dass auch andere Menschen hätten zu Schaden kommen können. Doch auch hier vielleicht die Möglichkeit, dies unter christlicher Prämisse zu sehen, unter der Möglichkeit, dass Menschen Fehler machen, sich aber ändern können, dass Fehler verziehen werden können. Etwas brisant in diesem Zusammenhang natürlich die Aussage vom März 2009, als Frau Käßmann meinte: “Ich verzichte auf Alkohol” in der Fastenzeit – und warum es sich lohne, durchzuhalten. Ein Punkt, in dem sicher auch eine Antwort gegeben werden sollte. Dennoch gilt: diejenigen, die nun mit dem Finger auf Frau Käßmann zeigen wollen, sollten nicht vergessen dass sie mit dieser Handhaltung automatisch mit drei Fingern auf sich selber zeigen; sollten nicht vergessen, in ihrem eigenen Leben nach dem zu kramen, was sie um Gottes Willen nicht ans Licht kommen lassen möchten. Man kann sicher sein: wohl jeder Mensch hat diese dunklen Ecken, die, wenn sie öffentlich würden, nicht allzu gut aufgenommen werden würden. Drum: wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Wenn man so handelt, werden höchstens ein paar Sandkörner fliegen, aber niemand wird wagen, einen Stein zu werfen.
Wie soll man nun damit umgehen ? Womöglich am besten konstruktiv:
Alkohol am Steuer ist kein Kavaliersdelikt. Andere Menschen können dadurch sterben. Dennoch: Wie vielen von uns könnte dies auch schon einmal passiert sein ? Wollen wir nun den Weg, den man in der Politik immer anschlägt in solchen Fällen: weg mit jemandem, der nicht den Erwartungen entsprach ?
Oder erkennen wir uns alle in einem solchen oder ähnlichen Verhalten wieder ? Wollen wir ein Vorbild, ein Vorbild darin, dass wir auch an hoher Stelle in der Kirche einen Menschen sehen, der ebenso einmal straucheln kann ? Einen Menschen, der uns zeigt, dass Kirche nichts Fernes von uns ist, keine abstrakten Hierarchiestrukturen, sondern dass Kirche aus Menschen besteht, aus fehlbaren Menschen ? Wollen wir ein Vorbild darin sehen, dass Frau Käßmann sich diesem Problem stellt, daran arbeitet, dieses Verhalten beseitigt ? Wollen wir, dass die Kirche dadurch menschlich und nah wird für jeden Menschen, für jeden, der weiß: mir sind auch schon gewisse Dinge passiert. Ich habe die Chance bekommen, mich zu ändern. Und Frau Käßmann bekommt die Chance, dies beispielhaft für uns alle zu tun. Sie soll ein Vorbild darin sein, wie Menschen mit ihren Fehlern umgehen und sie in Zukunft vermeiden. Sie soll ein Vorbild in dem werden, was Jesus einst der Ehebrecherin sagte: “Geh hin und sündige fortan nicht mehr ! Keiner wagte, Dich zu verurteilen, denn alle hatten Dreck am Stecken.“
Ich selber bin noch niemals mit Alkohol am Steuer gesessen und ich weiß um die Gefahren, sie können fatal sein und grausam und tödlich. Sie können Leid ohne Ende bringen. Dennoch: wenn man konstruktiv mit der Situation umgehen möchte, dann vielleicht so, wie oben beschrieben. Vorbildfunktion darin, dass eine Kirche sich menschlich zeigt, dass sie “Sünder” nicht beseitigt – wie in der Politik oft geschehen – , sondern dass sie im Sinne Jesu handelt: Geh hin und sündige fortan nicht mehr ! – und werde darin ein Vorbild auch für jeden von uns.
foto: wikicommons,wikipedia.de.
EKD
Käßmanns Gegner und Anhänger positionieren sich
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-02/kaessmann-reaktionen
Käßmanns Alkoholfahrt
“Alkohol enthemmt”
http://www.sueddeutsche.de/panorama/879/504095/text/
Frau Käßmann kann sich glücklich schätzen, so viele Fürsprecher zu haben. 🙂
Ein Argument geht allerdings ins Leere: Kirche und das Amt der EKD-Vorsitzenden sind, und da muss ich doch Tobias widersprechen, zwei unterschiedliche Dinge. Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, deren Ziel es ist, die Botschaft der Nächstenliebe, die Jesus so vorbildlich vorgelebt hat, zu verbreiten. Bis hierhin stimme ich dir, Tobias in vollem Umfang zu! ABER: Das Amt der Ratsvorsitzenden beinhaltet darüber hinaus eben hauptsächlich repräsentative Funktionen. Und dieses Amt ist daher eben doch – per Definitionem – ein moralisch-ethisches. Sicher nicht nur, da geb ich Tobias schon recht, aber eben doch hauptsächlich.
Ich will ja nicht – wer wäre ich, so etwas zu fordern! – dass Frau Käßmann aus der Kirche ausgeschlossen wird. Gott bewahre! Selbstverständlich ist auch und gerade in der Bußzeit Gelegenheit, Nachsicht mit denjenigen zu üben, die Verfehlungen begangen haben. Wenn sie dies dann auch noch reumütig eingestehen – da lasse man doch den Stein liegen, wo er ist.
Aber das Amt wird definitiv beschädigt. Ich bin mir sicher, dass Frau Käßmann in der Öffentlichkeit diese Trunkenheitsfahrt immer anhängen wird. Das macht sie auch als Verkündiger des Glaubens einfach angreifbar, für mich persönlich auch unglaubwürdig. Herr Beckstein sagte heute zu ihrer Verteidigung, sie sei schließlich keine Heilige. Das mag so sein. Aber bei öffentlichen Verlautbarungen, gleich welcher Art, schwingt diese Verfehlung in Zukunft immer mit, da bin ich mir sicher. Ich kann die hämischen Kommentare schon lesen: “Im Irak ist nichts gut” “Aber der Wein zu Hause schmeckt immer besser.”
Ich hoffe, es ist klar, worauf ich hinaus will: Menschlich, natürlich auch und gerade von einem biblischen Standpunkt aus, ist dieses Verhalten zu verzeihen. Kirchenpolitisch dagegen wäre ein Verbleib im Amt eine Katastrophe. Da mag Frau Käßmann noch so charismatisch sein.
Ich persönlich finde übrigens den Vorwurf “Wer ohne Sünde ist…” daher auch unpassend. Es geht nicht um das Persönliche, sondern um das Amtliche.
Ich sehe durchaus, daß das Amt damit beschädigt ist und ihr diese Alkoholfahrt einige Zeit, wenn nicht sogar immer nachhängen wird. Dennoch ist es eine Frage des Umgangs damit, und das kann (muß nicht) durchaus die Wahrnehmung dieses Amtes in der Öffentlichkeit zum positiven wenden (z.B. durch die Erkenntnis, daß Evangelium etwas anderes ist als Moral). Genau deshalb habe ich ja geschrieben, daß sowohl eine Entscheidung über den Verbleib im Amt als auch der Verzicht darauf Risiken und Chancen birgt und beide Entscheidungen respektiert werden sollten.
Was an einem Amt “per definitionem” ein primär (!) “moralisch-ethisches” sein soll, mußt Du mir aber erklären. Der Begriff des Moralisch-Ethischen müßte also schon im Begriff des Amtes selbst liegen, das kann ich allerdings nicht erkennen. Selbst, wenn das semantisch zuträfe, so wäre das “Moralisch-Ethische” in Blick auf das Kirchenamt maßgeblich vom Evangelium her zu bestimmen, nicht von einem Gemeinempfinden für Recht und Ordnung etc.
Tobias, die Antwort auf deine Frage hat Frau Käßmann gestern, denke ich, selbst gegeben.
@Marcus
Ja, kann ich alles so nachvollziehen. Aber man kanns auch anders sehen….
In wiefern das Amt ein moralisch-ethisches ist, kann ich zwar einerseits nachvollziehen, aber es ist kein Automatismus, dass es so ist. Die Gesellschaft hätte es vielleicht gerne so. Aber eigentlich ist im Protestantismus ja der Gedanke des Priestertums aller Gläubigen verankert. Drum ist dieses Amt nicht vergleichbar zb mit der Position des Papstes. Sondern Frau Käßmann war in diesem Amt eine von vielen. Sie hatte lediglich eine Leitungsposition inne.
Aber ethisch-moralisch ? Sie ist doch eigentlich primär Verkündigerin des Evangeliums. Klar, dass sich daran und daraus auch ethische Werte aufbauen lassen, aber eigentlich ist ihr Amt – wenn ich das richtig verstehe – nicht primär ethisch-moralisch.
Ja, die Sicht ist nachvollziehbar und es bräuchte viel Stärke, damit umzugehen. Allerdings finde ich nicht, dass dadurch das Amt beschädigt wäre. Ministerpräsident Althaus hatte beispielsweise eine Skifahrerin durch sein rücksichtsloses Fahren getötet und sollte trotzdem wieder ins Amt zurückkehren.
Bei Frau Käßmann war das Ganze viel harmloser, auch, wenn es natürlich schlimm hätte ausgehen können.
Ich glaube, kirchenpolitisch wäre es sehr klug gewesen, sie im Amt zu lassen, weil sie nämlich die Menschen erreicht. Und es geschafft hat, in nur 4 Monaten Amtszeit mehr – und durchaus auch positiv – wahrgenommen zu werden, als der intellektuell zwar brillante, aber nicht sonderlich bürgernahe Wolfgang Huber.
In meiner Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen ist beides mit einander verknüpft, nicht getrennt in zwei eigene Teile.
Hier noch ein Artikel, weshalb er EKD EBEN GERADE durch den Rücktritt von Frau Käßmann großer Schaden entstehen könnte – weitergehender Mitgliederschwud zum Beispiel. Hier: http://theolounge.wordpress.com/2010/02/24/kasmanns-rucktritt-der-gefahrliche-sieg-der-krokodile/
@Marcus
EVANGELISCHE KIRCHE
Die Irrtümer der Käßmann-Gegner
Bischöfin Käßmann ist trotz des EKD-Votums zurückgetreten. Die Befürworter des Rücktritts sitzen einigen Missverständnissen auf. mehr: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-02/kaessmann-ruecktritt-contra
@Marc
Diesen Kommentar hab ich gelesen – ist leider nur ein Pamphlet, das den Kern der Kritik und den Hauptpunkt für den Rücktritt nicht berücksichtigt. Daher geh ich da nicht drauf ein.
Die Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen scheint bei uns beiden tatsächlich unterschiedlich. Ich halte mich – jaja konservativ, ich weiß – lieber an Luther, der die Trennung von Glaube und weltlichem Amt postuliert hat. Und der Ratsvorsitz ist eben nur eine “weltliche” Funktion. Im Prinzip hat Frau Käßmann gestern genau die Begründung für den Rücktritt abgeliefert, die ich vorgestern schon erwähnt hatte – sie ist nicht mehr glaubwürdig, zumindest nicht bis ins Letzte.
Dass wir mir Frau Käßmann eine sehr charismatische Persönlichkeit “verlieren” (weg ist sie ja nicht, nur nicht mehr in Amt und Würden), bestreite ich nicht. Sie hat viel für die Kirche getan und gezeigt, wie man als moderner Mensch tief im Glauben verwurzelt sein kann. Das würde ich niemals bestreiten. Aber für mich ist dieser Rücktritt eben die einzig logische Konsequenz. Hast du dir übrigens Herrn Friedrich angehört? Ich meine auch hier nicht den 100%igen Rückhalt herauszuhören, wenn er sagt, dass man ihr die Entscheidung überließ, weil sie sie nicht zum Verbleib “zwingen” wollten – was immer das heißen mag.
@Marcus
Sind denn Du und ich immer glaubwürdig ? Können wir unsere Ämter denn dementsprechend ausführen ?
Vermutlich nicht. Wir sind Menschen, wir machen Fehler. Der Unterschied: bei Frau Käßmann ist an exponierter Stelle ein exponierter Fehler öffentlich geworden.
Ja, habe ich mir angehört. Ist sicher auch dialektisch seine Sicht. Einerseits, andererseits.
Man kann das ja auch so sehen. Ich persönlich denke, es wäre gut gewesen, wenn sie bleibt. Ich denke, es hätte sie viel Kraft gekostet, die Anfeindungen, die sicher auf sie zugekommen wären, auszuhalten, solange, bis sie wieder aus dem öffentlichen Interesse gewichen wären. Das wäre der schwere Weg gewesen. Und einer, der der Kirche sicher schon genützt hätte, denke ich.
Möglicherweise wird dieser Weg der Kirche jetzt auch nutzen. Aber man muss abwarten, was da nachkommt. Es ist schwer, in die Fußstapfen von Frau Käßmann zu treten und es könnte sein, dass das öffentliche Interesse an der Kirche wieder verschwindet. Das wäre dann für die Kirche ein ungutes Omen. Denn sie ist darauf angelegt, die Menschen zu erreichen, um mit ihnen kommunizieren zu können. Und Frau Käßmann konnte das gut – in den nur 4 Monaten ihrer Amtszeit hat sie gute Öffentlichkeitsarbeit geleistet.
Möge ihr Nachfolger ein ähnlich gutes Händchen dafür haben, das hoffe ich sehr im Interesse der Kirche – einer Kirche, die mit Mitgliederschwund zu kämpfen hat. Frau Käßmann konnte dem etwas durch ihre charismatische Persönlichkeit entgegenstellen.
Meine Argumentation ist wohl mehr nutzenorientiert. Mir geht es darum, dass die EKD auf einem Kurs bleibt, der die Menschen erreicht.
Dir geht es auch darum sicherlich, aber Du bindest das nicht an diese eine charismatische Persönlichkeit, sondern gehst davon aus, dass eine andere Persönlichkeit dies ebenso gut ausfüllen kann. Wenn Du Recht hast, dann wäre alles in Ordnung. Aber das wird sicher die Zukunft zeigen. Lassen wir uns mal überraschen…