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Gott, Zufall, oder beides?

Wenn man eine Münze eine Milliarde mal wirft, kommt statistisch gesehen eine halbe Milliarde mal Kopf, eine halbe Milliarde mal Zahl. Statistisch gesehen existiert der Zufall also. Aber trifft das auch auf den Einzelfall zu?

Diesem Thema widmet sich das Dossier der Zeitschrift ZEIT von letzter Woche. Zu Beginn wird ein Patient vorgestellt, der an einem äußerst seltenen Hirntumor leidet, welchen der behandelnde Arzt als einen negativen Sechser im Lotto bezeichnet, weil diese Art von Tumor derart selten vorkommt, dass man sie so nennen könnte.

In der Folge des Artikels werden verschiedene Zufälle aufgezählt und es wird immer mal wieder auf die statistische Wahrscheinlichkeit verwiesen. Zwar wird Gott in dem Artikel in der Hauptsache nicht direkt erwähnt, man kann sich aber seinen Teil diesbezüglich denken. Wenn es den Zufall gibt und er statistisch nachweisbar ist, so könnte es doch sein, dass für Gott kein Raum mehr bleibt.

In der Folge wird unter anderem von einer Frau berichtet, die vorhatte, ins Kloster zu gehen, von ihrem Vorhaben aber beinahe abgebracht wurde, dann jedoch im Regen einen roten Regenschirm in einem Papierkorb stehen sieht und dies als Zeichen dafür nimmt, den Weg ins Kloster, in dem sie sich eine meditative Auszeit nehmen will, dennoch fortzusetzen. In Kombination mit einem weiteren ähnlichen Zufall ist sie der Meinung, dass es sich eben nicht um Zufall handeln könne. Anders jedoch der Tenor im Artikel, ja, das seien eben einfach Zufälle und der Mensch sei eben so gepolt, dass er in allem und jedem einen Sinn suche, obwohl es den ja gar nicht gebe.

Auch ein Quantenphysiker wird für diese These bemüht, welcher der Meinung ist, dass sich in der Quantenwelt Dinge überhaupt nicht mehr vorhersagen lassen, was ja gängige Ansicht ist, welche er aber sogleich so interpretiert, dass für Gott hier überhaupt kein Raum mehr sei, weil Gott solch komplizierte Zusammenhänge gar nicht mehr erkennen könne. Hier kommt also doch zeitweilig Gott mit ins Spiel. Die Aussage in Bezug auf die Verhältnisse in der Quantenphysik des Physikers sind richtig, seine Mutmaßungen über Gott allerdings hanebüchen. Wie kommt er darauf, dass Vorkommnisse in der Quantenphysik zu kompliziert für Gott sein könnten, der ja doch für den Ursprung allen Seins und auch des Universums steht? Gott kann also ein Universum schaffen, die darin vorhandene Quantenphysik aber nicht verstehen?

Der Artikel schließt letztlich wieder mit dem Patienten, dessen Hirntumor auf wundersame Weise durch die Medizin geheilt wurde, was aber bei weitem im Vorfeld aufgrund der Kompliziertheit des Falles keineswegs klar war. Ein weiterer Sechser im Lotto also.

Gegen derlei Darstellung kann und muss man einiges in Stellung bringen. In früheren Jahrhunderten nahmen Theologen gerne Gott als Erklärung für Mysterien her, deren innerer Zusammenhang ihnen unklar erschien. Gott wurde quasi der Lückenbüßer für Phänomene, die nach und nach physikalisch oder chemisch erklärbar wurden. Dies schwächte den Glauben an Gott und stärkte die Naturwissenschaften. Heute ist man wesentlich besonnener und kann sich gut ein Nebeneinander von Theologie und Naturwissenschaften vorstellen. Letztere fragen nach dem “Wie”, die Theologie fragt nach dem “Warum”, sie antwortet auf Sinnfragen, welche sich per definitionem in der Physik, der Chemie, der Mathematik überhaupt nicht stellen.

In dem Artikel muss man aber feststellen, dass es hier nun in umgekehrter Weise läuft. Weil ein statistischer Zufall existiert und nachweisbar ist, wird daraus geschlossen, dass auch alle Einzelzufälle solche seien. Alle. Nachgewiesen wird das natürlich nicht, weil es nicht nachweisbar ist. Es ist eine implizite Annahme des naturwissenschaftlichen Weltbildes, dass der Zufall eben Zufall sei. Dementsprechend wird berichtet, dass bei einer sehr hohen Zahl von Versuchen beim Roulette beispielsweise theoretisch auch tausend mal hintereinander rot kommen könne. Das ist statistisch gesehen natürlich richtig. Dennoch sagt es nichts über die Qualität des einzelnen Zufalls aus. Und hier ist natürlich durchaus ein Anknüpfungspunkt, theologisch argumentieren zu können. Der Physiker Harald Lesch stellte einmal dar, wie unwahrscheinlich es sei, dass das Universum überhaupt in der Art existiere, dass sich darin Leben entwickeln kann. Man spricht hier von der sogenannten Feinabstimmung des Universums und Harald Lesch vergleicht dieses Austarieren mit tausend Rasierklingen, die so genau senkrecht aufeinander gestellt sind, dass sie halten. Derart exakt aufeinander abgepasst ist seiner Ansicht nach das Universum aufgebaut.

Damit aber noch nicht genug. Dazu käme dann noch einmal eine unglaubliche Reihe von Zufällen, welche sich in den 3,5 Milliarden Jahren, vor denen das Leben auf der Erde begann, zugetragen haben müssten, damit tatsächlich Leben stattfinden kann, wie wir es heute kennen. An anderer Stelle hatte ich einmal prinzipiell nachgerechnet, wie viele Merkmale von Körperzellen bezüglich ihrer Lage alleine jeden Tag innerhalb dieser 3,5 Milliarden Jahre festgelegt werden müssten, also rein “zufällig”, damit danach Lebewesen festzustellen sind, Lebewesen wie der Mensch, welcher aus etwa 80 bis 100 Billionen Körperzellen besteht. Etwa 80 Festlegungen müssten pro Tag stattfinden, zufällig. Das aber ist dann natürlich doch eine gigantische Anzahl von Einzelzufällen, die über 3,5 Milliarden Jahre hinweg tagtäglich stattgefunden haben müssen, was eigentlich die rein statistische Sicht von Wahrscheinlichkeit doch etwas sprengen dürfte. In der Gesamtheit und aufs Universum bezogen dürfte diese gigantische Kette von Zufällen, die zur Entwicklung des Lebens geführt haben müsste, in Bezug auf die Gesamtstatistik keine Rolle spielen. Für den Einzelfall, das Entstehen des Lebens, ist sie aber durchaus relevant und verstandesmäßig nicht zu begreifen.

Das Dossier argumentiert somit fast hauptsächlich aus einer technisierten, naturwissenschaftlichen Sicht und stellt diese als die einzig wahre da. Lediglich der narrative Rahmen in der Erzählung des Hirnpatienten, der zwei Sechser im Lotto hatte, einen guten und einen schlechten Sechser, lässt ein wenig über diesen vordefinierten Tellerrand hinweg blicken, wenn auch nur in Ansätzen.

Es ist jedoch nicht seriös, wenn sich Naturwissenschaft  auf Sinnsuche begibt. Es ist einfach nicht ihre Aufgabe. In dem Artikel passiert dies aber fast durchlaufend, indem er davon ausgeht, von der Wahrscheinlichkeit des Gesamtzufalls auch auf die Qualität des jeweiligen Einzel(zu)falls schließen zu können und zu dürfen. Beweise für die Richtigkeit dieses Vorgehens bleiben ganz einfach deswegen aus, weil sie auch nicht erbracht werden können. Man befindet sich somit plötzlich in einem wissenschaftlich gefärbten Glaubensbereich.

Der Einzelzufall oder die Einzelzufälle bleiben jedoch de facto weiterhin Domäne Gottes, hier kann er ohne weiteres agieren und auftauchen, ohne dass dies statistisch in irgendeiner Weise nachweisbar wäre. Gott ist nicht der Zufall, aber Gott kann durchaus so handeln, dass es aussieht wie Einzelzufall. Die Frau, die über die Straße geht und in der entscheidenden letzten Sekunde nach rechts schaut, den Bus sieht und stehen bleibt, der 20cm vor ihr, weil er nicht bremsen konnte, vorbeifährt, ist ein Beleg dafür. Zufall. Oder Eingreifen Gottes. Ein kleiner Gedanke im Gehirn der Frau genügt. Und sie ist gerettet.

Und auch die implizite Behauptung, die Sinnsuche des Menschen sei letztlich falsch, weil es ja überhaupt keinen Sinn gebe, letztlich also alles im Zufall ertrinke, wird überhaupt nicht belegt. Es handelt sich hier ebenfalls um eine Glaubensaussage, keine naturwissenschaftliche. Demgegenüber kann man, durchaus naturwissenschaftlich gedacht, argumentieren, dass der Mensch, wenn man ihn naturwissenschaftlich sieht, ja ein Produkt der Evolution ist. Und wenn als Endprodukt dieser Evolution ein Mensch herauskommt, dessen tiefster Kern es ist, Sinnzusammenhänge zu suchen und zu deuten, so muss man wohl sagen, dass der Sinn und die Suche nach ihm in der Evolution durchaus angelegt sind. Wenn der Mensch also verschiedene Zufälle interpretiert und darin einen Sinn sieht, so ist dies in seinem Wesen angelegt, welches auf die Optimierung durch die Evolution zurückgeht. Somit muss man davon ausgehen, dass die Sinnsuche des Menschen durchaus sinnvoll ist und die Wirklichkeit abzubilden vermag. In eine ähnliche Richtung interpretiert es auch der Philosophieprofessor Markus Gabriel, demzufolge die ganze Welt letztlich in Sinnfelder eingeteilt ist. Die Naturwissenschaft ist eines von vielen Sinnfeldern, aber nicht dasjenige, welches aus irgendwelchen Gründen heraus die absolute Deutungshoheit hätte. Sie kann naturwissenschaftliche Phänomene deuten, sinnstiftende jedoch nicht.

Die Naturwissenschaft kann Gott nicht beweisen, weil es überhaupt nicht ihre Aufgabe ist, dies zu tun. Sie schießt aber genauso am Ziel vorbei, wenn sie meint, ihn leugnen zu müssen. Auch, wenn sie dies implizit unter dem Deckmantel der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun versucht.

Zwischen Atheisten und gläubigen Menschen wird die Gottesfrage immer nur zu einem Patt führen. Dennoch bleiben die großen Fragen:

 Warum existiert alles? Und wer ist derjenige, der da aus meinen Augen herausschaut? Die Antwort, es sei einfach die Summe der Gehirnzellen, greift viel zu kurz und kann diese Frage nicht erklären, was auch Markus Gabriel thematisiert.

Naturwissenschaften und der Glaube an Gott brauchen sich nicht auszuschließen. Und eine ausgeglichene Summe von Gesamtzufällen sagt nichts über die Gottesfrage aus. Die Einzelzufälle, die uns als solche erscheinen, bieten genug Raum für das Handeln Gottes, nicht immer, aber vielleicht manchmal, ohne dass jemals ein Physiker ihn in diesem Handeln auch nur ansatzweise nachweisen könnte. Für einen Physiker bleibt nur die statistische Gesamtschau. Theologen und Philosophen hingegen dürfen diese Einzelzufälle deuten. Sinnhaft deuten. Denn die Welt ist nicht nur Atome, die Welt ist auch Sinn.

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