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Gibt es die Gegenwart überhaupt?

Absurd, werden Sie sagen. Was für eine dämliche Frage. Natürlich gibt es die Gegenwart! Wir wollen doch in der Gegenwart leben, im Augenblick!

Ich frage Sie einmal, wie es denn mit der Überschrift von eben aussieht. Als Sie sie gelesen haben, war das doch Ihre Gegenwart, oder? Jetzt ist die Überschrift in Ihrer Vergangenheit. Und auch dieser Satz. Und jeder Buchstabe, den Sie hier lesen. Augenblicklich in der Vergangenheit.

Wie kurz ist aber die Zeitspanne der Gegenwart?

Würde man sagen, ein Tag sei die Zeitspanne der Gegenwart, wäre dies wohl viel zu lang gegriffen. Denn viele Stunden liegen in der Zukunft vor einem, viele liegen schon hinter einem in der Vergangenheit.

Eine Minute vielleicht? Auch viel zu lange. 30 Sekunden vor einem, 30 Sekunden hinter einem. Und dazwischen?

Wie kurz ist der Augenblick dazwischen, der die Gegenwart ausmacht? Eine Sekunde? Vermutlich auch viel zu lange. Eine milliardstel Sekunde? Aus prinzipieller Sicht ebenso viel zu lang. Man müsste wohl korrekterweise sagen, der Augenblick, die Gegenwart, ist unendlich kein.

Und wäre sie aber tatsächlich unendlich klein, die Gegenwart, dann könnte man landläufig sagen, es gibt sie gar nicht. Wir pendeln dementsprechend immer nur zwischen Zukunft und Vergangenheit hin und her. Das, was wir als Gegenwart wahrnehmen, sind Empfindungen und Gedanken, die wir in dieser einen unendlich kleinen Zeitspanne hatten, die aber nun in unsere Vergangenheit zurückwirken und ebenso unsere Vorstellung von der Zukunft prägen.

Glauben Sie alles nicht? Nun gut, es klingt ja auch abstrus. Denken Sie doch einfach nachher in der Zukunft mal drüber nach. In der Zukunft, die mit einem winzigen Augenblick auch gleich schon wieder Ihre Vergangenheit sein wird.

Wir sehen uns. In der Zukunft. Also genau genommen, langfristig gesehen, in unserer Vergangenheit. Bis dann! Schön, dass wir uns gesehen haben!

Ein Trost bleibt uns jedoch. Auch, wenn es diese unendlich winzige Gegenwart vielleicht gar nicht gibt, so fühlt es sich zumindest so an, als ob sie real sei, die Gegenwart. Das ist doch schon mal was.

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8 Kommentare

  1. Werner Kastens

    Die Gegenwart ist doch in der Praxis nur das Zeitfenster, was wir ihr gegeben haben. Theoretisch mindestens aber der Zeitraum, den wir benötigen, um einen zeitlichen Ablauf/Verlauf in unserem Hirn abspeichern, bewerten und erkennen zu können.

  2. richardhorn1963

    Nerdgeschichte: soweit ich weiß, geht die Wissenschaft davon aus, dass es eine kleinste sinnvolle Zeitspanne gibt. Die Zeit , die das Licht braucht, um eine Planck-länge zurückzulegen. Ich habe sie einmal in einem Blogeintrag einen Jiffy genannt. An dieser Stelle ist es nicht mehr möglich, zwischen vorher und nachher zu unterscheiden, kürzere Zeit ist nicht messbar. Das Jiffy ist der Tick des Universums.

  3. Adam-Schmitz-2

    Die Frage stellt sich nur dann, wenn man an die Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft verortet. So besehen wird die Gegenwart immer kürzer und schnurrt auf ein Nichts zusammen. Wenn man von der Gegenwart ausgeht ist die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht real – und die Gegenwart weitet sich zum unendlichen Flow. Wenn man nun noch den guten Albert Einstein bemüht, dann kommt das, was wir als Gegenwart wahrnehmen aus der Vergangenheit – wie das Millionen Jahre alte Licht, das wir gegenwärtig als ferne Galaxie wahrnehmen.

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