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Fußball WM: Die One-Love-Binde und unsere Doppelmoral

Immer, wenn eine Fußball-Weltmeisterschaft oder Olympiade in einem Staat stattfindet, in dem es um die Menschenrechte nicht allzu gut bestellt ist, stellt sich spätestens kurz vorher ganz verblüfft die Frage, wie man es denn mit den Menschenrechten nehmen solle.

In Deutschland und der Europäischen Union war kürzlich – und ist vielleicht auch noch – die Empörung groß, dass die Menschenrechte in Katar tatsächlich eingeschränkt sind. Homosexuell darf man dort nicht sein, wenn man aber als homosexueller Mensch dorthin reist, solle man doch bitte in dieser Zeit trotzdem nicht homosexuell sein. Ganz zu schweigen von den Rechten für Frauen, um die es auch nicht allzu gut bestellt ist. Und dann noch die Sache mit den Leiharbeitern, von denen so viele gestorben sind, als sie die hübschen Fußballstadien für billiges Geld errichtet haben.

Nun war im Vorfeld lange bekannt, dass die Nationalmannschaften die One-Love-Armbinde tragen wollten als Ausdruck für Toleranz, Diversität und Menschenrechte. Obwohl dies schon lange bekannt war, cancelte die FIFA die Sache kurz vor dem Beginn der Weltmeisterschaft. Ein Zeichen von Zivilcourage ist das nicht.

Die deutsche Nationalmannschaft reagierte ein kleines bisschen, indem sie sich für ein paar Sekunden zu einem Foto arrangierte und dabei die Hände vor den Mund hielt. Das war ungefährlich, hatte es doch keine sportrechtlichen Konsequenzen durch die FIFA.

Was aber genau mit dem Zuhalten des Mundes gemeint ist, liegt in der Sicht des Betrachters. Die einen schwärmen nun davon, die deutschen Nationalspieler hätten damit zumindest zum Ausdruck gebracht, dass sie um ihre Redefreiheit gebracht worden seien, aber dies sei eben nun ihr stummer Protest.

Man kann das Ganze aber auch umgekehrt sehen. Dementsprechend halten sich die Nationalspieler den Mund zu als Ausdruck dessen, dass sie eben gerade keine Zivilcourage zeigen. Wir sagen nichts, wir haben nichts zu sagen, wir trauen uns auch nicht.

Allerdings ist es ethisch problematisch, die Fußballspieler zu verurteilen. Denn eigentlich weiß man seit 12 Jahren um die desolate Menschenrechtslage in Katar, seit 12 Jahren wird dort für die Fußball-Weltmeisterschaft gebaut. Die Ursache für die ethische Misere müsste man zuallererst im System suchen, beispielsweise bei der FIFA.

Und wie ist es eigentlich mit uns allen, von denen viele in Berufen beschäftigt sind, in denen sie auch mit anderen Kulturkreisen zusammentreffen? Was ist mit jemandem, der geschäftlich nach China reist, nach Katar, um dort für Deutschland Erdgas zu organisieren, nach Afrika, damit unter menschenunwürdigen Bedingungen und oft durch Kinderarbeit Koltan aus der Erde geschürft werden kann, und so weiter.

Und es muss ja gar nicht ganz so drastisch sein. Was ist, wenn wir Deutschen immer noch russisches Erdöl kaufen, wissen wir dabei zugleich aber doch, dass wir damit die Kriegskasse Russlands füllen, welches nun seit 9 Monaten einen Genozid am ukrainischen Volk vollzieht. Ach, das bisschen Erdöl, das Benzin, das wird doch nicht so schlimm sein, oder?

Es ist das Eine, von Fußballspielern zu erwarten, dass sie sich eine One-Love-Binde an den Arm binden und dadurch ihre Karriere zerstören. Es ist das Andere, dass wir in Kleinigkeiten selbst oft so nachlässig sind, während wir auf die vermeintlich großen Probleme schauen. Jesus sagte: Was stört dich der Splitter im Auge deines Bruders, wenn du doch den Balken in deinem eigenen Augen nicht wahrnimmst?

Ja, es ist gut und richtig und wichtig und auch ein Zeichen von Zivilcourage, für die Menschenrechte einzustehen. Aber das geht einerseits auf mehrere Arten, andererseits sollten wir selbst einmal damit anfangen an dem Ort, an dem wir gerade tätig sind.

Und wenn wir das gut hinkriegen, dann können wir uns so richtig echauffieren über die Nationalspieler, die scheinbar so feige sind. Denn allzu mutig sind wir scheinbar auch nicht.

1 Kommentar

  1. Jolina

    Wenn Sie um neun Uhr eine Klausur schreiben, fahren Sie nicht um acht mit Ihrem Schrottauto zum TÜV, sondern konzentrieren sich auf das, was kommt.
    Von den armen Schweinen in Katar wurde aber verlangt, daß sie vor dem wichtigen Spiel noch einmal schnell ihre korrekte Haltung zeigen. Das ist in die Hose gegangen.

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