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„Du sollst nicht lügen!“ Steht das so überhaupt in der Bibel?

Zu Beginn einmal die Frage: was ist eigentlich eine Lüge? Dazu ein fiktives Beispiel.

Dieses Beispiel wird an Mann und Frau erläutert, die eine Liebesbeziehung miteinander haben und zusammen leben. Die Rollen könnten natürlich genausogut vertauscht sein.

Der Mann ist zu Hause und erwartet seine Frau, die aus dem Büro ungewohnt spät nach Hause kommt. Er fragt sie scherzhaft, ob sie wieder mit diesem süßen Kollegen unterwegs gewesen sei. Sie lacht und sagt, ja, mit diesem super süßen Kollegen sei sie tatsächlich unterwegs gewesen, habe mit ihm zusammen romantisch Abend gegessen und man sei sich auch total nahe gekommen.

Der Mann lacht, weil das Ganze ja als Scherz gemeint war. Seine Frau und er nehmen sich in den Arm und verbringen den Abend gemeinsam.

Nun war die Aussage der Frau aber überhaupt kein Scherz, sie war nur als solcher verpackt. Die Frau hatte absolut die Wahrheit erzählt. Der Mann hatte es nur nicht gemerkt, weil die Geschichte bewusst satirisch eingekleidet war.

Ist das also eine Lüge?

Wesentliches Element bei eine Lüge ist die Täuschungsabsicht. Und die Täuschungsabsicht ist in diesem Fall gegeben, weil die Frau zwar formal und den Worten nach die Wahrheit gesagt hat, ihren Mann aber absichtlich und bewusst täuschen wollte. Sie hat also gelogen.

Was steht aber eigentlich im Dekalog, in den Zehn Geboten? Steht dort: du sollst nicht lügen?

Der Wortlaut ist der folgende.

Das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Quelle

Da steht also nicht, dass man generell nicht lügen soll, sondern man soll keine falsche Zeugenaussage über jemand anderen machen.

Der Sitz im Leben des Gebotes kommt aus dem Umfeld der Jurisdiktion. Man sollte vor Gericht keine falsche Aussage über einen Angeklagten tätigen, weil dieser dadurch hart bestraft werden konnte, vielleicht sogar mit dem Tode. Zu Zeiten des Mose gab es empfindliche Strafen und die Jurisdiktion wurde legitimiert durch die Verkopplung mit der theologischen Komponente, dass Gott es so wolle.

Diesen Gedanken kann man heute natürlich noch genauso akzeptieren, man kann ihn aber auch dahingehend ausweiten, dass man generell den guten Ruf von Menschen nicht zu Unrecht schädigen soll. Auch üble Nachrede, Mobbing und Bullying im Internet gehören in diese Kategorie.

Wie ist es dann aber, darf man lügen?

Aus neutestamentlicher Sicht wird man hier wohl die ethische Vorgabe der Nächstenliebe und der Selbstannahme anführen.

Man darf beispielsweise lügen, wenn ein Mörder vor der Tür steht und fragt, ob man der sei, den er sucht. Man ist nicht verpflichtet, sich selbst auszuliefern. Man soll sich selbst annehmen und lieben und auf sich achten.

Man darf ebenso lügen, wenn der Mörder einen anderen Menschen in derselben Absicht sucht. Nächstenliebe, um den anderen Menschen zu schützen.

Dennoch impliziert die Nächstenliebe ebenfalls, dass man mit seinem Gegenüber anständig umgehen soll, was in aller Regel auch bedeutet, dass man bei der Wahrheit bleibt. Andererseits kann es manchmal sein, dass der Andere die Wahrheit nicht vertragen kann, weil sie zu schrecklich ist.

Hat jemand eine unheilbare Krankheit, kann es im Sinne der Nächstenliebe barmherzig sein, das Wissen um diese Krankheit alleine zu tragen, auch wenn es schwer wiegt. Andererseits muss man hier ebenfalls abwägen, denn das Wissen um die unheilbare Krankheit an den Anderen weiterzugeben ist ja auch etwas, das den anderen, auch, wenn man sich zuerst nicht vorstellen kann, dass er damit zurecht kommt, dazu befähigen kann, mit dieser Erkenntnis auf seine Weise umzugehen.

Sagt man es ihm nicht, besteht die Gefahr der Entmündigung. Im Sinne der Nächstenliebe könnte man sich dann trotzdem um den Anderen kümmern, um ihm zu helfen, mit dieser neuen und schlimmen Wahrheit umzugehen.

Glücklicherweise sind die meisten Lügen im Leben keineswegs so schwerwiegend.

Wenn jemand einen neuen Haarschnitt oder eine neue Kleidung trägt, die man selber nicht mag, ist man nicht verpflichtet, absolut die Wahrheit diesbezüglich zu sagen, wenn man im Sinne der Nächstenliebe zum anderen antworten möchte. Man kann dann sagen, ja, das trägt man wohl heute so, für mich selber wäre ein anderer Haarschnitt aber wohl das Richtige oder ich fände einen Haarschnitt in der und der Weise dann noch schöner.

Andererseits kann manchmal die Wahrheit auch angebracht sein, weil der Andere einen sonst überhaupt nicht einschätzen kann. Wenn man immer unterstellt, der Andere könne die Wahrheit nicht aushalten, wird dadurch die Beziehung, die man zu ihm hat, auch immer flacher und oberflächlicher, weil man sich ja in vielen Punkten, teilweise auch in wesentlichen Punkten, nicht mehr ehrlich miteinander austauschen kann.

Es kommt also immer drauf an. Nach Immanuel Kant müsste man immer die Wahrheit sagen, wenn dies als allgemeines Gesetz gelten könnte. Allerdings kann die Wahrheit eben auch unbarmherzig sein und Menschen können an ihr zerbrechen.

Als kleiner Kompass kann vielleicht gelten, sich zu fragen, aus welcher Intention heraus man lügt:

Lügt man aus egoistischen Motiven heraus, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, sollte man auf die Lüge verzichten. Lügt man aus altruistischen Motiven heraus, um das Leben für Andere zu verbessern, dann sind Lügen wohl viel leichter zu rechtfertigen.

Dennoch ist man auch nicht verpflichtet dazu, immer die ganze Wahrheit auszubreiten. Und man kann sich fragen, ob durch eine Lüge ein Schaden entsteht oder nicht, und ob man mit der Bürde, die Wahrheit zu verheimlichen, leben kann. Kann man dies gegenüber sich selbst und anderen ertragen und vertreten?

Und noch ein letzter Gedanke: man sollte sich selbst auch nicht anlügen und sich etwas vormachen. Denn wenn man die Wahrheit, wie man Dinge empfindet oder leben möchte, zurückhält zugunsten einer vermuteten gesellschaftlichen Erwartungshaltung, achtet man sich selbst nicht.

Manchmal kann eine Lüge im Sinne der Nächstenliebe barmherzig sein, manchmal ist sie es nicht. Und manchmal ist man es sich aus Gründen der Selbstannahme auch schuldig, die Wahrheit zu sagen.

Dies zu entscheiden ist immer eine Sache des Einzelfalls.

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1 Kommentar

  1. Nirmalo

    Es gibt Leute, die sagen, „der Mensch“ würde durchschnittlich 80 Mal am Tag lügen. Andere sprechen sogar von 200 Mal.

    Warum sollte ich mit jemandem verkehren, der mich überhaupt anlügt? Mit jemandem, der seine Intelligenz in die Konstruktion von Blödsinn steckt und meine Würde dermaßen gering schätzt?

    Wahrhaftig sein
    ist ganz einfach.

    Warum kompliziert…,
    wenn es einfach geht?

    Es soll sogar falsche Fünfziger geben und… Leute, die das Lügen rechtfertigen. Die haben´s halt nicht kapiert.

    Gebote, Gesetze und Verordnungen, braucht es deshalb, weil die Reife der Menschen zu wünschen übrig läßt, weil sie offenbar nicht aus sich selbst heraus wissen, was richtig ist und was nicht.

    Geistig reifere Menschen wissen den
    Wert der Wahrhaftigkeit zu schätzen.

    Für die anderen gilt das Gebot:
    „Du sollst nicht lügen!“ Basta.

    Zum Thema „Lüge“:
    https://philosophischereplik.home.blog/category/luege/

    Lügnern bleibt der Raum
    der Weisheit verschlossen.

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