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Haben Sie immer zu wenig Zeit? Dann sind Sie in guter Gesellschaft.

Obwohl in den westlichen Industrieländern den einzelnen Individuen so viel Zeit wie noch nie zur Verfügung steht, fühlen sich die meisten Menschen überfordert und gehetzt. Wenn Ihnen das auch so geht, sind Sie also in bester Gesellschaft.

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT findet sich ein Dossier zu diesem Thema, in dem der sogenannte Zeitforscher Professor Karlheinz Geißler zu diesem Thema interviewt wird. Ein paar Gedanken seien hier zusammenfassend wiedergegeben.

Zunächst einmal ist die Erfindung der Zeit vor etwa 600 Jahren im Mittelalter anzusiedeln, als Uhren, also Zeitmesser, erfunden wurden und unter anderem Mönchen dabei helfen sollten, ihre Gebetszeiten einhalten zu können.

Mit Erfindung der Uhr wurde die Zeit plötzlich messbar und parallel dazu begann der Siegeszug der am Kapital orientierten Gesellschaft, da plötzlich die Formel gilt, Zeit sei Geld.

In Schulen wird Geißler zufolge unter anderem eine sogenannte “Veruhrzeitlichung” der Schüler forciert, das heißt, sie werden gewissermaßen an die Spielregeln der Zeit angepasst und darauf getaktet, um für die Gesellschaft später funktionieren zu können. Das kann man natürlich kritisch sehen.

Als Jesuiten im 17. Jahrhundert dem japanischen Kaiser eine Uhr schenkten, mussten sie feststellen, dass er sie irgendwann als Spielzeug einreihte und sie nicht zu benutzen wusste. Die Japaner waren lange Zeit zeitlos.

Während die meisten sogenannten Motivationstrainer heute zu dem permanenten Erstellen von To-Do-Listen raten, geht Geißler den umgekehrten Weg. Er rät zum Erstellen von let-it-be-Listen. Denn seiner Auffassung nach zwingt die Uhr den Menschen in einen für ihn ungesunden Rhythmus. In China beispielsweise legen sich Arbeiterinnen in Geschäften, wenn sie müde sind, ins Regal und schlafen dort eine Weile. Das entspricht dem menschlichen Lebensrhythmus. In unserer westlichen Gesellschaft ist dies weitgehend undenkbar oder wird nur zögerlich vereinzelt in Betrieben ermöglicht, indem Mitarbeiter sich im mittags hinlegen können, wenn auch nicht ins Regal. Dabei könnte das Leben gegen den eigenen Rhythmus Ursache für viele körperliche Leiden sein, beispielsweise auch für Herzinfarkte. Professor Geißler seinerseits verzichtet darauf, selbst eine Uhr zu tragen, und steht dann auf, wenn sein eigener Rhythmus es ihm vorgibt. Für gewöhnlich gegen 8 Uhr, einige Minuten hin oder her.

Er plädiert somit dafür, mehr auf den eigenen Lebensrhythmus zu hören und sich weniger von der getakteten und vorgegebenen Uhrzeit einspannen zu lassen, die dem Wesen des Menschen zuwiderläuft, ihn gesundheitlich schädigt, einengt und gewissermaßen zu einer Maschine macht.

Die Uhrzeit ist etwas künstliches, das von Menschen geschaffen wurde, um unter anderem Arbeitsprozesse genau zu takten. Der Mensch jedoch ist keine Maschine und sobald er dies begreift und ein wenig versucht, aus diesem ihm vorgegebenen Rhythmus immer mal wieder aus zu scheren, gewinnt er gewissermaßen ein Stück seiner Menschlichkeit für sich zurück. 

Und als Menschen hatte Gott den Menschen geschaffen, nicht als Maschine.

2 Kommentare

  1. racheles-welt

    Sehr gute Gedanken! Leider ist das nach-eigenem-Rhythmus-leben den meisten Menschen nicht möglich (zumindest was aufstehen und Pausen angeht). Aber definitiv sollte man sich erinnern, dass man keine Maschine ist, Danke dafür! Auch die let-it-be-Listen finde ich super 😊

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