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Menschenleben nicht gegen Menschenleben aufrechnen

In der ZEIT vom 2.12.21 auf Seite 15 erläutert Tonio Walter, Professor für Strafrecht an der Universität Regensburg und Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht, dass man laut Grundgesetz ein Menschenleben nicht gegen ein anderes aufrechnen darf. Deswegen brauche es ein Gesetz, falls es infolge der Pandemie zur Triage kommen sollte, weil sonst von Ärzten womöglich die falsche Entscheidung getroffen werden könnte.

Derzeit dürfte es in Krankenhäusern auf Intensivstationen so sein, dass Ärzte versuchen, wenn für zwei Covid-19 Patienten nur noch ein Bett zur Verfügung stehen würde, denjenigen zu bevorzugen, der die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hat. Dementsprechend würde wahrscheinlich ein jüngerer gesunder Mensch das Bett bekommen, wenn sein Mitbewerber um das Bett ein alter und kranker Mensch wäre.

So etwas sei laut Grundgesetz aber nicht erlaubt, weil man eben ein Menschenleben nicht gegen ein anderes Menschenleben aufrechnen darf.

Deswegen schlägt Tonio Walter den Zufall als unabhängigen Richter für die Vergabe eines solchen Intensivbetts vor. Das könnte in der Art und Weise geschehen, dass einfach derjenige, der zuerst kommt, das Bett erhält. Der Zufall käme somit zum Tragen, weil es ja ein großer Zufall ist, wann sich wer mit dem Virus ansteckt.

Das klingt in sich ganz schlüssig, allerdings wäre zu hinterfragen, ob man nicht auch Menschenleben gegen Menschenleben aufrechnet, wenn beispielsweise ungeimpfte Menschen in großer Zahl die Intensivstationen zum Kollabieren bringen und deswegen geimpfte Menschen und Menschen mit irgendwelchen anderen Krankheiten oder Verkehrsunfällen dort keinen Platz mehr bekommen und sterben müssen.

Um dieser Zwickmühle zu entgehen, könnte man überlegen, gewisse Kontingente für unterschiedliche Personengruppen einzuführen. Ein Kontingent an Betten auf der Intensivstation für Ungeimpfte, die sich hätten impfen lassen können, dies aber nicht gewollt hatten, ein Kontingent für Geimpfte, ein weiteres Kontingent für Operationen infolge von Krankheiten und dann noch eines für Menschen, die einen schweren Unfall erlitten haben.

Das Ganze dürfte dann allerdings natürlich nicht so sein, dass die Gruppe 1 komplett voll ist, während in den anderen Gruppen noch viele Betten frei stehen, sondern es müsste wohl so sein, dass auch die Betten der anderen Gruppen an die Gruppe eins verteilt werden, aber immer so, dass doch noch ein paar Betten frei bleiben für die drei weiteren Gruppen.

Allerdings wäre auch dieser Ansatz nicht ganz unproblematisch. Denn sobald irgendwo noch ein freies Bett auf der Intensivstation ist, das man aber nur einer anderen Gruppe zuordnet, anstatt demjenigen, der es braucht, rechnet man in gewisser Weise auch Menschenleben gegen Menschenleben auf.

Andererseits kann man es aber auch so sehen, wie oben erwähnt, dass man Menschenleben gegen Menschenleben aufrechnet, wenn man mit Ungeimpften die Intensivstationen volllaufen lässt, so dass alle anderen Gruppen keine Chance mehr auf ein Bett haben.

Ein ethisches Dilemma, aus dem man irgendwie nicht heile herauskommt. Aber das ist ja das Wesen eines Dilemmas: Was man auch macht, man macht immer irgendetwas falsch.

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3 Kommentare

  1. Werner Kastens

    Wenn man Menschenleben sagt, dann ist es doch wohl völlig unlauter irgendwelche Kriterien anzulegen, sei es schwarz oder weiss, jung oder alt, geimpft oder ungeimpft, blond oder schwarzhaarig, Sesshafter oder Geflüchteter, Deutscher oder Ausländer. Eine solche Hinterfragung würde doch eindeutig in Richtung Nazi-Zeit und deren Praktiken zielen!

    • god.fish

      Bei schweren Unfällen auf der Autobahn beispielsweise wird ja auch eine Triage vorgenommen. Die Rettungsdienste gehen herum und verteilen Farben an die Opfer, je nachdem, ob da noch was zu retten ist, ob jemand schnell versorgt werden muss oder noch warten kann. Warum? Weil dadurch natürlich die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass möglichst viele Menschen gerettet werden können. Allerdings wird hier gewissermaßen auch Leben gegen Leben ausgespielt.

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