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Türkei: die NATO-Beistandsverpflichtung. Was sie beinhaltet und was nicht. Eine kurze Analyse.

Seit die US-amerikanischen Truppen vor ein paar Tagen aus Nordsyrien abgezogen sind und seit das türkische Militär nun völkerrechtswidrig und ohne UN-Mandat in Nordsyrien eingedrungen ist und dort Krieg führt, stellt sich die Frage, ob der NATO-Bündnisfall eintreten würde, wenn im Zusammenhang mit diesen kriegerischen Handlungen irgendwann die Türkei angegriffen werden würde.

Artikel 5 des NATO-Regelwerks beschreibt, dass dann, wenn ein NATO-Mitglied angegriffen wird, sich alle anderen NATO-Mitglieder ebenfalls angegriffen fühlen und dementsprechend diesem einen angegriffenen NATO-Partner zu Hilfe kommen sollen.

Allerdings ist dies kein Automatismus. Es ist also nicht so, wie im ersten Weltkrieg, dass eine Bündnisverpflichtung automatisch zur nächsten führt und schließlich ein gigantischer Krieg entstehen müsste. Sondern es ist so, dass die einzelnen NATO-Länder entscheiden und abwägen, ob und in welcher Art und Weise sie dem angegriffenen Nato-Partner zu Hilfe kommen wollen.

Würden allerdings die NATO-Länder auf eine Hilfe für die Türkei verzichten, sollte dieser Fall eintreten, wäre die NATO damit doch ziemlich unglaubwürdig geworden. Dadurch würden dann alle anderen NATO-Länder, deren Sicherheit auf der Abschreckungswirkung des größten Militärbündnisses der Welt, der NATO, beruht, in Gefahr geraten. Es könnte dann beispielsweise sein, dass Russland versucht, durch Milizen, die vielleicht keine Hoheitsabzeichen tragen, wie bei der sogenannten Krimannexion in der Ukraine, ins Baltikum einzudringen und dieses zu annektieren. Das Kalkül wäre, dass die NATO sich ja zu uneins wäre, um zu intervenieren, so wie bei der Türkei.

Der türkische Angriffskrieg stellt somit also eine große Gefahr für die Sicherheitsarchitektur aller NATO-Länder dar und setzt diese indirekt trotzdem unter Zugzwang, sofern die Türkei nun ihrerseits angegriffen werden würde.

Denn die Abschreckung durch militärische Stärke funktioniert nur dann, wenn sie absolut glaubhaft ist. Die Türkei könnte somit der Testfall für die Bündnistreue und die Stärke der NATO werden. Es steht also in diesem Konflikt sehr viel auf dem Spiel für die Sicherheit aller NATO-Länder.

Die USA haben mittlerweile Sanktionen gegen türkische Stahlimporte angekündigt, die Einfuhrzölle werden auf 50 % angehoben. Das allein dürfte jedoch den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan nicht sonderlich tangieren. Wesentlich effektiver wäre es, wenn nun auch die EU geschlossen Sanktionen gegen die Türkei beschließen würde, und zwar möglichst sofort.

Damit ist aber wohl kaum zu rechnen, weil die EU in sich viel zu zerrissen ist und die Interessen zu heterogen. Dabei wäre dies die Möglichkeit, diesen militärischen Konflikt wirtschaftlich auszubremsen, einzuhegen und womöglich auf Dauer zu befrieden. Sollte das nicht geschafft werden, wonach es wohl realistischerweise aussieht, könnte daraus ein größerer militärischer Konflikt entstehen, der viele Tote produzieren wird. Und dann, nachdem es tausende Tote gegeben haben wird, könnte sich vielleicht doch die EU endlich einig werden und ein paar kleine Sanktiönchen verkünden. Allerdings will man es sich ja auch mit Herrn Erdogan nicht verscherzen, der einem immerhin die Flüchtlinge aus Syrien bisher ganz gut abgehalten hat, was dann als Folge in Europa die Rechtspopulisten einigermaßen klein gehalten hat.

Eine Dilemmasituation also. Und das Wesen eines Dilemmas ist, dass keine Entscheidung, die man trifft, absolut richtig ist.

 

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7 Kommentare

  1. Reiner

    Warum wird die Türkei nicht als das benannt, was sie ist? Ein Aggressor, der ein Nachbarland überfallen hat und dabei ist, dieses in Teilen zu okkupieren. Warum erklärt unsere Regierung nicht klar und deutlich, keinem Aggressor im Bündnisfall beizustehen? Warum bietet man diesem Erpresser in Sachen Flüchtlinge nicht die Stirn? Eine mögliche Lösung wäre die Aufforderung an alle in Deutschland lebenden Türken, sich klar und deutlich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden, mit allen Staatsbürgerrechten und Pflichten. Oder in einer angemessenen Frist das Land zu verlassen. Keine doppelte Staatsbürgerschaft mehr, kein Huldigen „ihres“ Präsidenten hier in Deutschland, keine türkischen Wahllokale mehr.

    Jeder soll die Chance haben, „Ja“ zu diesem Land zu sagen, aber ausschließlich für Deutschland.
    Auch, wenn ich es mir vielleicht zu einfach mache …

    • theolounge.blog

      Ja, ich glaube, das ist etwas einfach gesehen. Die politische Einstellung darf ja nicht Grundlage dafür sein, ob man eine Staatsbürgerschaft hat oder nicht. Ob es die Doppelstaatsbürgerschaft geben soll oder nicht, ist wohl Aufgabe der Politik.
      Man sollte nicht hier im Lande lebende Türken automatisch mit der Regierung in der Türkei gleichsetzen. Jeder Mensch ist anders und selbst, wenn jemand diesen Präsidenten gewählt hat oder wählt, kann es verschiedene Gründe dafür geben, möglicherweise auch ungenaue Information, die der Wahlentscheidung zugrunde liegt.

      • Reiner

        Die politische Einstellung darf ja nicht Grundlage dafür sein, ob man eine Staatsbürgerschaft hat oder nicht.

        Warum eigentlich nicht? In anderen (demokratischen) Ländern ist das üblich. Damit meine ich keine kulturelle Assimilation, allenfalls eine Politische und so genannte Strukturelle. Fakt ist, das viele der hier lebenden Türken hinter ihren uns alles andere als freundlich gesinnten Präsidenten stehen, ihn verehren. Menschen, welche die Vorteile unseres Landes gerne mitnehmen, ansonsten aber weit davon entfernt sind, sich mit diesem Land zu identifizieren, sich hier heimisch zu fühlen. Welche Gründe dazu führen, dass Menschen einen Despoten verehren, darüber kann ich nur mutmaßen. Aus einigen Gesprächen tippe ich auf überzogenen Nationalstolz und vor allem Verblendung, Desinformation, Propaganda-Opfer.

        Vielleicht rührt mich dieses Thema auch besonders, weil wir hier daheim viel darüber sprechen. Meine Frau ist gebürtige Armenierin mit deutschem Pass und Wurzeln in Istanbul. Oder deutsche Staatsangehörige mit armenischen Wurzeln. Sie ist für mich tagtäglich das lebende Beispiel, wie ein Mensch sich voll und ganz in ein Land einbringt, ohne seine kulturelle Herkunft und Identität zu verleugnen.

        PS:
        Es tut gut, über solche Themen auch mal mit gegensätzlicher Meinung zu diskutieren, ohne gleich in jenen Jargon zu verfallen, der sich in den meisten sozialen Medien heute breit macht. Danke dafür!

      • theolounge.blog

        naja, aber die Gesinnung darf eigentlich nicht die Grundlage für die Staatsbürgerschaft sein, zumindest nicht dann, wenn man sie einmal erlangt hat. In Diktaturen wird das so gemacht, das gesehen und linientreu sein muss, in einer Demokratie ist das aber nicht zulässig. Und gerade die Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit wissen, wie leicht man in populistischer Manier manipuliert werden kann. Man braucht hierzu auch nur einmal die Wahlerfolge der AFD im Osten anzuschauen. Demagogie pur.

      • Reiner

        Die politische Gesinnung nicht, nein. Aber das Verhältnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu unseren Grundgesetz, zu unserer pluralistischen Gesellschaft insgesamt. Das Problem ist, woran macht man das fest? Von irgendwelchen „Tests“ oder „Prüfungen“ in dem Sinne, wie sie mit manchen Einbürgerungskandidaten stattfinden, halte ich nicht viel, zumindest nicht in der heute praktizierten Form. Es ist schwierig – und ja, es gibt zur Genüge auch Landsleute mit deutschem Pass, denen dieses Land scheißegal ist, die das auch laut kundtun, solange es ihnen nicht an die Stütze geht.

        Manipulation, ja…damals wie heute, nur heute mit ungeahnten und sehr effektiven Möglichkeiten, Göbbels oder ein Mielke hätten gejubelt, hätten sie damals ein Internet zur Verfügung gehabt.

        Das, was Erdogan derzeit treibt, ist ebenso ein uraltes Spiel. Er lenkt mit dem Erzeugen eines Feindbildes von seinem inneren Schwierigkeiten ab. Wir halten zusammen, ihr müsst uns nur sagen, gegen wen … So leicht lassen sich die Massen einen, nicht alle, aber viele.

      • theolounge.blog

        Man kann deutscher Staatsbürger sein und sich komplett irgendwie in Deutschland engagieren, man kann aber genauso auch deutscher Staatsbürger sein und überhaupt nichts für sein Land empfinden. Beides ist völlig legal. Eine Prüfung der Gesinnung findet nicht statt, sofern man sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegt und man einmal die Staatsbürgerschaft erworben hat. Und das ist sicherlich auch richtig so. Oder würdest du deine Staatsangehörigkeit an deine Gesinnung koppeln wollen? Wohl auch nicht. Heute denkst du so, morgen anders. Und trotzdem bist du Deutscher.

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