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Der Denkfehler bei der aktuellen Islamdebatte

Bundespräsident Wulff hatte gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Innenminister Seehofer konterte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, Muslime allerdings schon.

Warum diese unterschiedlichen Aussagen?

Der Unterschied liegt in der Betrachtungsweise. Man kann geschichtlich vorgehen, deskriptiv und normativ.

In geschichtlicher Hinsicht hatte der Islam relativ wenig gestalterischen Einfluss in Europa. Denn Europa war im Wesentlichen christlich geprägt. In diesem Kontext wäre die Aussage richtig, dass der Islam zu dem Gebiet, innerhalb dessen Grenzen heute Deutschland liegt, nicht wesentlich dazugehörte, also es nicht wesentlich prägte.

(Im Grunde gehört die geschichtliche Sicht auch zur deskriptiven Betrachtung, ich habe sie aber der Klarheit halber mal gesondert aufgeführt. Ansonsten müsste man eben unterscheiden zwischen deskriptiv historischer und deskriptiv gegenwärtiger Sicht)

Die deskriptive Sicht beschreibt, wie es hier und heute ist. Heute ist der Islam, wie auch das Christentum, der Atheismus, das Judentum, verschiedene sektiererische Richtungen, verschiedene politische Richtungen und so weiter Teil von Deutschland.

Der normative Ansatz wäre der, dass man einer Menschengruppe oder Gesellschaft oder einem ganzen Volk vorschreiben will, wie etwas zu sein habe. Aus diesem Grund ist wohl der Aufschrei auch laut gewesen, weil viele die Äußerung von Herrn Seehofer in diese Richtung verstanden haben. Ob sie in diese Richtung gehend gemeint war, müsste man einmal genauer analysieren. Die normative Sicht könnte heißen, der Islam solle nicht zu Deutschland gehören, zumindest, wenn man die Äußerung auf dem normativen Ohr aufgenommen hat.

Es gibt in Deutschland allerdings tatsächlich eine normative Sicht, die auch rechtliche Bindung hat, nämlich das Grundgesetz. Dort wird Religionsfreiheit garantiert. Deswegen darf man eine solche Äußerung nicht ebenfalls normativ verstehen, denn sie würde in diesem Fall mit dem Grundgesetz im Konflikt zu kommen.

In Deutschland herrscht nämlich sowohl positive Religionsfreiheit, dass man sich die Religion wählen kann, die man möchte, als auch negative Religionsfreiheit, dass man sich von jeglicher Religion abkehren darf und Atheist der höchsten Stufe und der höchsten Erleuchtung sein kann, ganz wie es einem beliebt. Das ist deutsche Kultur.

Zur Frage, was Kultur eigentlich bedeutet, ist es also wesentlich, von welcher Sicht aus man diese Frage angeht. Kulturell prägend, sowohl geschichtlich, als auch deskriptiv, als auch normativ, ist auf jeden Fall das Grundgesetz. Das ist der kulturelle Grundkonsens, auf den sich alle, die in Deutschland leben möchten, einigen müssen. Und es ist, deskriptiv wie auch normativ gesehen, derzeit ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Kultur.

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2 Kommentare

  1. peter bachstein

    ich finde deinen artikel – insbesondere den bezug aufs grundgesetz – sehr gut. doch ich möchte an einbem punkt widersprechen und zwar zum historischen aspekt. im mittelalter hatte der islam durchaus großen einfluss auf europa. es waren immerhin arabische gelehrte, die die großen werke der griechischen antike vor dem vergessen retteten. arabische wissenschaftler führten – u. a. im damals islamischen spanien, die heilkunst auf ungeahnte höhen. und auch die religiöse toleranz, die ja auch ins grundgesetz eingeflossen ist, wurde während der islamischen zeit spaniens entwickelt und gelebt. juden, christen, moslems lebten dort problemlos miteinander, machten geschäfte, errichteten kolossale bauwerke und diskutierten naturwissenschaftliche fragen. tja, und dann muss man auch noch erwähnen, dass durch die islamischen araber unser aktuelles zahlensystem nach europa kam. selbst sprachlich haben die araber ihre spuren bei uns hinterlassen: mütze, jacke,tasse sind solche wörter mit arabischem ursprung. und einer wie ich (sehbehindert) weiß, dass die ursprünge der modernen augenheilkunde auch im islamischen orient liegen – ein gewisser ibn sinna spielt dabei eine wichtige rolle. manche werden ihn aus dem „medicus“ kennen…

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