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Zahrnt: Jesus gründete keine Kirche

Von Esther Vietz über Dr. Heinz Zahrnt (ev. Theologe 1915 – 2003), „Mutmaßungen über Gott“: Jesus habe gar keine Kirche gegründet.

Kirche – Aufgebot des Glaubens in der Welt

Dass ich Christ bin, verdanke ich der Kirche – sie hat mir die Bibel erschlossen. Aber ich könnte nicht mit Martin Luther sagen: »Ich hab sie lieb, die werte Magd.« Es geht mir mit der Kirche wie Gustav Heinemann mit dem Staat, der, auf sein Verhältnis zu ihm angesprochen, zu antworten pflegte, er liebe nicht den Staat, sondern seine Frau.

Für mich ist die Kirche weder, wie für Luther, eine liebe, werte Magd, noch, wie für die Katholiken, die geliebte Mutter, sondern ein lebenslang ungelöstes Problem. Ich kann mein Verhältnis zur Kirche daher in den knappen Satz fassen: Ich lebe als Christ durch die Kirche, in der Kirche – und immer wieder – trotz der Kirche.

Dieses zwiespältige Verhältnis entspricht der Zweideutigkeit, die dem Faktum »Kirche« von seinem Ursprung her anhaftet. Die Tatsache, dass es die Kirche nur in den Kirchen gibt – dieses unauflösliche Ineinander von Singular und Plural – weist auf das Grundproblem aller »Kirchlichkeit« hin.Der katholische Theologe Alfred Loisy hat es in den berühmten Satz gefasst: »Jesus hat das Reich Gottes angekündigt, und die Kirche istgekommen.« Auch wenn Loisy unter anderem wegen dieses Satzes von Papst Pius X  exkommuniziert wurde, so war das Recht doch historisch wie theologisch auf seiner Seite.

Jesus aus Nazareth hat in der Tat keine Kirche gegründet, sondern eine endzeitliche Glaubens- und Sammlungsbewegung entfacht. Er hat selbst von sich gesagt: »Ich bin gekommen, ein Feuer auf Erden anzuzünden« und hat voll Bangen hinzugefügt: »was wollte ich lieber, als es brennte schon.« (Lukas 12,49) Nicht irgendeine weitere religiöse Organisation sollte entstehen und auch wieder vergehen – das Reich Gottes sollte endgültig hereinbrechen! Für eine Kirche blieb da keine Zeit mehr.

Aber wenn die Kirche von Jesus auch nicht vorgesehen war, so war ihre Entstehung doch vorauszusehen. Denn es kam anders, als Jesus es erwartet und die Urgemeinde erhofft hatte. Das Reich Gottes brach nicht an, die Welt nahm weiter ihren Lauf. Sollte die von Jesus entfachte Glaubens- und Sammlungsbewegung sich nicht wieder verlaufen, so musste ihre »Vorläufigkeit«, um im Gang zu bleiben, institutionell stabilisiert werden. Auch der heilige Geist braucht, wenn er bleiben soll, ein Dach über dem Kopf.

Dazu musste ein geschichtliches Gebilde entstehen, das, wie alle Gebilde in der Geschichte, seinen Bestand in der Welt mit den Mitteln der Welt behauptet. Und so ist fast von selbst »die Kirche gekommen« mit Schriften, Dogmen und Ämtern, mit Kultus, Macht und Recht, mit Hierarchie, Bürokratie und Finanzen – nicht an Stelle des von Jesus angesagten Reiches Gottes, sondern in Folge seiner Ansage des Reiches Gottes, mithin als mittelbare, nicht als unmittelbare Fortwirkung seines Glaubens und Verkündigens.

Die von Jesus entfachte endzeitliche Glaubens- und Sammlungsbewegung als eine Institution in der Zeit – das ist das Dilemma, in dem sich die Kirche befindet. Das macht sie zu einem so zweideutigen Faktum. Als solches aber hat sie teil an der Geistesgeschichte Gottes in der Welt. Nur wer die Dialektik dieser Zweideutigkeit begreift und durchhält, wird dem Wesen der Kirche gerecht.

Unter theologischem Aspekt betrachtet, ist die Kirche eine Geistgemeinschaft: Gottes Geist ist die Quelle ihres Lebens – er allein ist es, der »die Kirche« zur Kirche macht. Darum heißt die Kirche im NeuenTestament »Leib Christi«, und die Christen werden »Tempel Gottes« und »Gemeinschaft der Heiligen« genannt. Wo nicht der Geist Gottes in einer Kirche weht, dort ist sie nicht der Leib Christi, sondern Jesu Leichnam. Für die Zugehörigkeit zur Kirche als Geistgemeinschaft gibt es kein eindeutig erkennbares Kriterium. Es kann ein »Geistlicher« auch nicht einen Hauch vom Geist Gottes verspürt haben, während ein Atheist nicht fern vom Reiche Gottes ist.

Unter soziologischem Aspekt betrachtet, ist die Kirche zugleich eine gesellschaftliche Größe und hat als solche teil an den Zweideutigkeiten aller Lebensprozesse: Darum die Offenbarung als Tradition, das Wort Gottes als menschliche Urkunde, die Liebe als Moral, der heilige Geist als Amtsvollmacht, der Leib Christi als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Nachfolge Jesu als kirchliche Laufbahn, kurzum die Himmelsleiter als Kirchenleiter. In allen diesen Zweideutigkeiten ist die Kirche dennoch eine Geistgemeinschaft. Aber der heilige Geist träufelt nicht wie ein lila Fluidum von der Kirchendecke, sondern vermittelt sich, wie jeder Geist, durch das Wort und die Einrichtungen von Menschen.

Das führt zu der unauflöslichen Spannung zwischen priesterlich-institutioneller Gestalt und prophetisch-charismatischem Protest. Sie bildet das ewige Grundproblem aller Religion und damit auch jeder Kirche. Wo immer Menschen die Offenbarung Gottes annehmen, tun sie es in religiöser Gestalt: Das ist das Institutionell-Priesterliche in der Religion – es kann in einer Kirche in verschiedenem Maß vorhanden sein, aber es ist unvermeidlich. Denn wo immer Menschen Gottes Offenbarung annehmen, drohen sie daraus Götzen zu machen – es ist die Versuchung, den Geist Gottes herabzuzwingen und ihn in Büchern, Dogmen und Personen, in Sakramenten, Ämtern und Altären zu »orten«. Aber das Endliche vermag das Unendliche nicht zu ergreifen. Jede kirchliche Institution, auch die vollkommenste, wird hoffnungslos hinter dem Reich Gottes zurückbleiben und jeder kirchliche Lehrsatz, auch der paradoxeste, die Fülle der göttlichen Offenbarung nur unzureichend fassen.

Darum erhebt sich gegen das priesterlich-institutionelle Element in der Kirche immer wieder der prophetisch-charismatische Protest – er kann in verschiedener Stärke auftreten, aber er ist unentbehrlich. Beide Elemente – das priesterlich-institutionelle und das prophetisch-charismatische – befinden sich in einer Art Dauerkonflikt miteinander und bleiben dennoch aufeinander angewiesen. Niemals wird einer Kirche die Domestizierung, die »Behausung« des heiligen Geistes vollends gelingen.

Die Kirche ist die mittelbare Fortsetzung des Wirkens Jesu. Als Tradentin der »memoria Jesu« hat sie das Feuer seines Geistes in der Welt am Brennen zu halten. Dabei sitzt sie selbst auf dem von ihr bewahrten und oft genug auch bewachten Evangelium wie auf einem Pulverfass, ständig in der Gefahr, sich durch seine Verkündigung selbst in die Luft zu sprengen. Auf diese Weise setzt sich die von Jesus entfachte Glaubens- und Sammlungsbewegung in der Weltgeschichte fort, keine apostolische Nachfolge von Bischof zu Bischof – das ist Menschenwerk, sondern eine spirituelle von Glauben zu Glauben – das ist Gottes Werk. In der Nachfolge Jesu als des »Anfängers und Vollenders des Glaubens« wird die Kirche so zum »Aufgebot des Glaubens« in der Welt.

Angesichts der zu erwartenden Diasporasituation gibt es nur einen gangbaren Weg in die Zukunft: Das Christentum insgesamt muss viel bewusster als bisher die von Jesus aus Nazareth entfachte Glaubens- und Sammlungsbewegung fortsetzen und die Kirche sich entsprechend als das »Aufgebot des Glaubens« in der Welt verstehen. Der von manchen Christen empfohlene »Gesundschrumpfungsprozess« wäre ein falscher Weg für die Kirche. Er würde nur zu einer noch rascheren Verkirchlichung des Christentums und am Ende in eine religiöse Erstarrung führen. Nicht durch die defensive Bewahrung des vorhandenen Bestandes, sondern allein durch die Gewinnung neuer Christen kann die Kirche dem im Gang befindlichen Erosionsprozess widerstehen.

Will die Kirche bewusst die von Jesus entfachte Glaubens- und Sammlungsbewegung fortsetzen, dann muss sie sich vor allem als eine Lebensgemeinschaft mit der Bibel und um die Bibel verstehen.  »Tradition« heißt in der Kirche nicht »Festschreibung«, sondern »Fortschreibung« der biblischen Botschaft!

Dass Jesus aus Nazareth für sie der Weg zum Leben ist, können die Christen nur so bezeugen, dass sie seinen Lebensweg in die Welt hinein fortsetzen.Ungescheut betrachtet, bietet die Diasporasituation – bei allem Abtrag – der Kirche auch eine Chance. Indem die Postmoderne die Illusion einer »christlichen Welt« vollends zerstörte, hat sie der Kirche zugleich eine neue Möglichkeit eröffnet, in der Welt präsent zu sein. Dadurch sind die Christen gleichsam aus dem gesicherten Jerusalem hinausgeworfen und an die Straße nach Jericho gestellt worden, in die profane Welt, in ihre Mitte, um dort, in der Solidarität der leidenden und kämpfenden Menschheit, auf menschliche Weise das Helfende zu tun.

Das aber verlangt eine offensive Vorwärtsstrategie und damit die grundsätzliche, zugleich aber höchst praktische Entscheidung, ob die Nachhut oder die Vorhut künftig den Weg des wandernden Volkes Gottes bestimmen soll.

Das Grundmodell aller Kirchlichkeit liefert der neutestamentliche Bericht von der Ausgießung des heiligen Geistes zu Pfingsten. Die aus allen Ländern der Erde zum Fest nach Jerusalem herbeigeströmten Pilger hören alle, ein jeglicher in seiner Sprache, die großen Taten Gottes verkündigen: Juden und Judengenossen, Parther, Meder, Elamiter… Das pfingstliche Geschehen ist ein Sprachgeschehen. Die babylonische Sprachverwirrung wird rückgängig gemacht, aber es wird den Christen keine einheitliche Weltsprache, kein christliches Esperanto, verpasst. Die Vielfalt der Sprachen bleibt bestehen, jedoch so, dass durch sie nicht mehr Wirrwarr, Zwietracht und Zerstreuung, sondern gegenseitiges Verstehen und neue Gemeinschaft entstehen.  »Einheit in Vielfalt« heißt für mich darum die Grundgestalt der Kirche in den Kirchen.Gesteht man sich gegenseitig das Recht zur Verschiedenheit zu, so ist die Einheit im Grunde bereits da.

Die Kirche ist für mich ein Haus mit vielen Wohnungen im Innern und offenenTüren nach draußen. In ihr gilt kein exklusives „Entweder – Oder“, sondern ein inklusives „Sowohl – als auch“.  Wer sich im Heiligtum befindet und wer im Vorhof oder gar draußen vor, lässt sich nicht ein für allemal feststellen. Es kann jemand Christ sein, ohne einer institutionellen Kirche anzugehören, wie umgekehrt eine ganze Kirche in den Verdacht der Unchristlichkeit geraten kann. Gegenseitiger Respekt ist deshalb geboten. Das schließt den Streit um die Wahrheit nicht aus, verlangt aber als Mittel der Konfliktbewältigung das höfliche Gespräch.

Mit freundlicher Genehmigung von Esther Vietz .
Zum Originalartikel > hier.

Lesen Sie auch: > Christlicher Gottesglaube und moderne Religionskritik

Bild:nafas,pixelio.de.
Aus:  „Mutmaßungen über Gott
„ISBN:  3-492-22327-3,  Verlag Piper
Dr. Heinz Zahrnt, * 31.05. 1915 in Kiel, †  01.11. 2003 in Soest,
ev. Theologe, theol. Schriftsteller, Publizist,
war 25 Jahre lang theologischer Chefredakteur des
Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes,
Mitglied des PEN -Clubs und
seit 1960 im Präsidium des deutschen Evangelischen Kirchentages

4 Kommentare

  1. Konrad Kugler

    Alle Irrlehren incl. aller Ideologien sind „Opium fürs Volk“.
    Es ist für mich schleierhaft, wie man gegen den Ausspruch Jesu: „Du bist Petrus der Fels. Und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ behaupten kann, daß Jesus genau das nicht gewollt haben soll. Rational ist das nicht zu fassen.

  2. R.S

    Wer sagt denn dass Jesus diese Worte überhaupt gesagt hat? Als gläubiger Jude, der Jesus ja war, ist das kaum vorstellbar, genau so wenig wie der Missionauftrag in Mt 28: Geht hinaus in alle Welt….. , da missionieren in der jüdischen Lehre nicht erlaubt ist.
    Es sind im Gegenteil „Einschübe“, welche später getätigt wurden, um die Kirche auf jesuanische Beine zu stellen.
    Wie gesagt als gläubiger Jude, als der er schließlich auch gestorben ist ( und nicht als Christ) kann er diese Kirche weder gegründet, noch gewollt haben
    R.S.

  3. matlanedotde

    Ich habe nicht alles gelesen, aber dass die Kirche institutionalisiert werden musste da bin ich mir nicht ganz sicher. War das nicht vielmehr ihr Suendenfall. Es gibt und gab immer auch eine Schar von disorganisierten Juengern die vielzuwenig beachtet werden (wurden?) weil sie nicht so lautstark auftraten(?)
    -Es kann jemand Christ sein, ohne einer institutionellen Kirche anzugehören-, wie umgekehrt eine ganze Kirche in den Verdacht der Unchristlichkeit geraten kann. Gegenseitiger Respekt ist deshalb geboten.
    Schade dass Herrn Zahrndt diese Erkenntnis so spaet kam.

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